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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ausfüllte – denen, die von den allerältesten Fraas und Suurs bebaut wurden, damit sie zur Erledigung ihrer Pflichten nicht so weit zu laufen brauchten. Das Dach hatte auf dieser Seite eine tief herabgezogene Traufe, um zu verhindern, dass die Sonne hereinschien und die Küche noch heißer machte, als sie ohnehin schon war. Suur Tulia und Suur Ala saßen zusammen im Schatten dieser Traufe, unmittelbar unter dem Fenster, und zerschnitten Reifen, um Sandalen daraus zu machen. Ich wollte weder, dass Tulia hörte, wie ich geebnet wurde, weil ich in sie verschossen war, noch wollte ich, dass Ala es hörte, weil es ihr ein großes Vergnügen bereitet hätte. Zum Glück erklärten sie einander gerade etwas und hatten keine Ahnung, was hier drinnen vor sich ging.
    »Sie nennen wie ich will? Was für eine sonderbare Idee, Fid Erasmas«, sagte Orolo. »Lass mal sehen … soll ich sie Karotten nennen, oder Bodenfliesen?« Überall um uns herum flog Gekicher auf, wie Spatzen, die in einem Glockenturm aufgescheucht werden.
    »Nein, Pa Orolo, es ergäbe keinen Sinn zu sagen, dass auf jede Verheerung eine Karotte folgte.«

    »Warum nicht, Fid Erasmas?«
    »Weil das Wort Karotte eine andere Bedeutung hat als Reform oder Veränderungen in den Mathen .«
    »Also müssen wir, da Wörter diese bemerkenswerte Eigenschaft besitzen, bestimmte Bedeutungen zu haben, darauf achten, die richtigen zu benutzen? Ist das eine korrekte Wiedergabe dessen, was du gesagt hast, oder bin ich im Irrtum?«
    »Das ist korrekt, Pa Orolo.«
    »Vielleicht hat jemand von den anderen, die so viel von dem Neuen Zirkel und den Reformierten Alten Faanianern gelernt haben, einen Irrtum darin bemerkt und möchte uns korrigieren.« Und mit dem ruhigen Auge einer Giftschlange, die die Luft prüft, ließ Fraa Orolo seinen Blick über das halbe Dutzend Fids wandern, die uns umringt hatten.
    Keiner bewegte sich.
    »Sehr gut, hier möchte also niemand die neue Hypothese von Saunt Prok vertreten. Wir können unter der Annahme fortfahren, dass Wörter Dinge bedeuten. Was ist der Unterschied zwischen der Aussage, dass den Verheerungen Reformen folgten, und der Aussage, dass ihnen Veränderungen in den Mathen folgten?«
    »Ich vermute, es hat mit den Nebenbedeutungen des Begriffs Reform zu tun«, sagte ich. Ich hatte nämlich aufgegeben und war bereit, mich ebnen zu lassen, nicht weil es mir gefiel, sondern weil es so ungewöhnlich war, dass Fraa Orolo sich über etwas anderes als Sterne und Planeten ausließ.
    »Ah, vielleicht könntest du das näher ausführen, denn ich bin nicht mit derselben Wortgewandtheit begabt wie du, Fid Erasmas, und es würde mich ärgern, wenn ich deinem Gedankengang nicht folgen könnte.«
    »Also gut, Pa Orolo. Die Aussage, es habe Veränderungen gegeben, erscheint einem eher wie eine Diaxische Ausdrucksweise – mithilfe des Rechens von jedem subjektiven emotionalen Urteil befreit -, während man bei dem Wort Reformen das Gefühl bekommt, dass mit der Art, wie die Mathe vorher geführt wurden, irgendetwas nicht stimmte, und dass …«
    »Wir es verdienten, verheert zu werden? Dass die Zampanos bei uns einfallen und uns Verbesserungen bringen mussten ?«
    »Wenn du es so formulierst, Pa Orolo, und noch dazu in diesem Ton, scheinst du zu unterstellen, dass die vollzogenen Veränderungen
nicht hätten sein müssen – dass sie uns zu Unrecht von der Säkularen Macht aufgezwungen wurden.« Weil ich aufgeregt war, stolperte ich über ein paar Wörter. Ich hatte flüchtig eine Möglichkeit erspäht, Orolo in die Enge zu treiben. Diese Reformen – diese Veränderungen – waren für die Mathe nämlich so grundlegend wie die tägliche Teilnahme an der Provene, und dagegen konnte er schwerlich Position beziehen.
    Doch Fraa Orolo schüttelte nur traurig den Kopf, als könnte er kaum glauben, was für eine dünne Brühe uns da in den Schreibsälen serviert wurde. »Ihr müsst euch Saunt Kartas’ Säkulum noch einmal vornehmen.«
    Avot, die viel Zeit damit verbrachten, durch Teleskope zu schauen, waren für ihre exzentrische Herangehensweise an das Studium der Geschichte bekannt, und deshalb lachte ich nicht darüber. Ein paar andere grinsten sich gegenseitig an.
    »Ich habe es letztes Jahr gelesen, Pa Orolo.«
    »Was du gelesen hast, waren wahrscheinlich Auszüge aus einer Übersetzung ins Mittelorth. Viele dieser Übersetzungen waren von einer Art ur-prokischer Mentalität beeinflusst, die während des Alten Mathischen Zeitalters herrschte, nicht

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