Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Droge eingekocht wurde. Die Avot waren unbewaffnet. Sie waren aus der ganzen Welt zusammengezogen worden und hatten daher wenig miteinander gemein; die meisten von ihnen sprachen nicht einmal Orth. Zufällig waren jedoch einige von ihnen Schüler einer alten Kampfkunstschule, die damals keine Verbindung mit der mathischen Welt hatte, auch wenn sie in klösterlicher Umgebung entwickelt worden war. Jedenfalls hatten sie ihre Fähigkeiten noch nie außerhalb eines Turnsaals angewandt, sahen sich aber jetzt mit einer Situation konfrontiert, in der sie handeln mussten. Manche von ihnen wurden getötet. Manche der Kampfkünstler schlugen sich gut, andere erstarrten und kämpften nicht besser als die anderen, die keinerlei Schulung genossen hatten. Diese Art von Situation bezeichnete man fortan als Emergenz. Ein paar der Überlebenden gründeten daraufhin den Klingenthalmath. Lio zufolge verbrachten sie fast ebenso viel Zeit mit Nachdenken über das Emergenzkonzept wie mit dem körperlichen Üben – ausgehend von dem Gedanken,
dass alle Übung der Welt nutzlos, vielleicht sogar schlimmer als nutzlos war, wenn man nicht wusste, wann man sie einsetzen musste, und das zu wissen war viel schwieriger, als es klang, denn manchmal, wenn man zu lange wartete, ehe man handelte, war es zu spät, und ein andermal, wenn man zu früh handelte, machte man alles nur noch schlimmer.
    »Das auffälligste Merkmal des Feindes war seine unbedachte Aggression«, sagte Fraa Osa. Er griff in die Luft und schloss seine Hand, als packte er das Handgelenk eines Angreifers, der ihm einen Faustschlag versetzen wollte. Zum Glück war das eine ausdrucksvolle Geste, denn Fraa Osa schien nicht geneigt, mehr über die von ihnen angewandte Strategie zu verraten.
    »Ihr dachtet, wenn sie schon in einer solchen Stimmung sind, sollen sie auch Futter für ihre Aggressivität bekommen«, sagte ich in dem Bemühen, ihn etwas mehr aus der Reserve zu locken. Fraa Osa nickte lächelnd. »Also habt ihr euch diese eine Person geschnappt und angefangen, äh …«
    Hier brach ich ausnahmsweise einmal ab, statt die Wahrheit zu sagen, die lautete, dass sie den Gheeth gequält hatten. Diesen Leuten gegenüber, die gerade ihr Leben für meins aufs Spiel gesetzt hatten, wollte ich nicht mäkelig erscheinen. Fraa Osa nickte und lächelte nur weiter. »Es ist eine Nervenquetschtechnik«, sagte er. »Es scheint sehr wehzutun, hinterlässt aber keinen bleibenden Schaden.«
    Das warf alle möglichen interessanten Fragen auf: Bestand wirklich ein Unterschied zwischen wehzutun und wehzutun scheinen ? War es statthaft, jemanden zu quälen, wenn dabei keine klinischen Verletzungen entstanden? Aber auch hier gab es die verschiedensten Gründe, solchen Fragen jetzt nicht weiter nachzugehen. »Also jedenfalls hat es funktioniert«, sagte ich. »Der Pöbel hat euch angegriffen – ihr habt einen falschen Rückzug inszeniert und sie in eine Falle gelockt – und sie dann in Panik versetzt.« Mehr Nicken und Lächeln. Fraa Osa war einfach nicht in der Stimmung, sich näher über all das auszulassen. »Und wie lange hattet ihr Zeit, um diesen Plan zu entwerfen?«, fragte ich ihn.
    »Nicht lange genug.«
    »Wie bitte?«
    »In einer Emergenz hat man keine Zeit, sich Pläne auszudenken. Noch viel weniger, sie jemandem zu vermitteln. Stattdessen sagte ich zu den anderen, wir würden Baron Frodes Kavallerie auf den
Zweiten Binsenebenen nachahmen, als sie Prinz Terazyns Kompanie herausholten. Außer dass das Kanalufer die Langen Stöcke und der kleine Platz Blutige Lichtungen ersetzen würde. Wie du siehst, dauert das Aussprechen dieser Wörter nicht lange.«
    Ich nickte, als hätte ich eine Ahnung, wovon er sprach – was ich nicht hatte. Ich wusste nicht einmal, auf welchen Krieg er anspielte, und in welchem Jahrtausend.
    »Was hat es mit den roten Hemden auf sich?«, fragte ich, obwohl ich bereits meine Vermutungen hatte. Fraa Osa grinste reuevoll. »Sie wurden uns beim Voko ausgehändigt«, sagte er. »Von einer lokalen Arch gespendet. Ich freue mich schon auf unsere Ankunft in Tredegarh, wo ich dann wieder zu Kulle und Kord zurückkehren kann.«
    »Apropos …«
    Er schüttelte den Kopf. »Deine Kulle, Kord und Sphär sind weg. Vielleicht hätten wir sie zurückbekommen können – aber wir sind ziemlich hastig aufgebrochen.«
    »Natürlich!«, sagte ich. »Ist nicht weiter schlimm.« Was es in einer Hinsicht auch nicht war. Fraas und Suurs verloren ihre von Zeit zu Zeit. Dann wurden neue

Weitere Kostenlose Bücher