Anathem: Roman
ausgegeben. Dass ich meine auf diese Art verloren hatte, machte mir aber ziemlich viel aus. Sie hatten mich über zehn Jahre lang begleitet, und es hingen viele Erinnerungen an ihnen. Sie waren meine letzte physische Verbindung zur mathischen Welt gewesen. Jetzt, wo sie weg waren, konnte ich irgendein Säkular sein. Was vielleicht sicherer war – niemand konnte sie aus ihrem Versteck hervorzerren und mit ihnen herumwedeln und versuchen, mich zu lynchen. Aber es gab mir ein Gefühl der Einsamkeit.
Sammann ging zu Yul hinüber und sprach kurz mit ihm, worauf der aufsprang, das Gewehr holte, es am Lauf packte und nach ein paar Schritten Anlauf mit großer Wucht wegwarf. Indem es sich mehrfach überschlug, flog es ungefähr bis zur Mitte des Flusses, stieß dann in die Strömung hinab und verschwand. Vielleicht eine Minute später tauchten zwei Mobos voller Polizisten auf und drängten aus ihren heulenden und blinkenden Fahrzeugen. Außer Fraa Osa und den zwei Suurs, die mich zusammenflickten, saßen alle Klingenthalavot im Schneidersitz auf dem Boden und schauten gelassen drein. Die Polizisten gafften sie zumeist an. Wie viele tausend Spulos waren schon über die fiktiven Heldentaten der Thaler gedreht worden? Die Polizisten konnten sie einfach nicht als Verdächtige betrachten. In ihren Augen waren sie eher Touristenattraktionen.
Zootiere. Filmstars. Obendrein waren die Thaler sich dessen durchaus bewusst und verstanden es, das auszuschlachten. Sie zeigten uns, was Körperhaltung ausmacht, und gaben vor zu meditieren. Die Polizisten schluckten es. Der Chefpolizist führte ein langes und (anfangs) angespanntes Gespräch mit Yul und Fraa Osa. Die Suur mit der Nadel ließ den Faden weiter durch mein Fleisch laufen, und ich biss so fest die Zähne zusammen, dass ich sie knacken hören konnte. Schließlich band sie den Faden ab und ging ohne ein Wort – ja sogar ohne einen Blick – davon. Ich hatte eine Draufsicht: Vielleicht empfand ich etwas für diese Leute, weil sie mir geholfen hatten und weil ich bis zu meiner Zulassung viel zu viele Spulos über sie gesehen hatte. Die Thaler waren jedoch nicht evoziert worden, weil sie so nette Kerle waren.
Die Hände in den Taschen, gesellte Cord sich zu mir und machte eine Bestandsaufnahme meiner Verbände.
»Schau mal, wie klein der Prozentsatz meines Körpers ist, den sie tatsächlich bedecken«, betonte ich.
Davon wollte sie nichts wissen.
»Unser Plan hat nicht besonders gut funktioniert«, brachte ich vor.
Sie wendete den Blick zur Seite und schniefte – das letzte emotionale Nachbeben eines langen Tages. »Nicht deine Schuld. Wie hätten wir es wissen können?«
»Es tut mir leid, dass ich dir das zugemutet habe. Ich verstehe nicht, wie das Ganze so gründlich fehlschlagen konnte.«
Sie sah mich scharf an, entdeckte aber vermutlich nichts als einen dümmlichen Ausdruck in meinem Gesicht. »Du hast keine Ahnung, was hier vor sich geht, oder?«
»Ich fürchte, nein. Nur, dass das Militär sich auf den Pol zubewegt hat.« Eine Erinnerung schoss mir durch den Kopf. »Und ein Magister auf dem Schiff hat eine sonderbare Bemerkung darüber gemacht, dass der Himmelswart wutentbrannt hinausgeworfen worden sei.«
Gerade als ich das sagte, bog ein alter klappriger Bus von der Straße her ein. Am Steuer saß Magister Sark. Das war einer dieser verrückten Zufälle, die manche Leute an Geister und übernatürliche Erscheinungen glauben ließen. Ich erklärte es mir einfach damit, dass mein Unbewusstes den Bus schon ein paar Minuten bevor ich ihn bewusst wahrnahm, aus dem Augenwinkel gesehen hatte.
»Bist du noch da?«, fragte Cord.
»Klar. He – was ist mit Jesry? Geht es ihm gut?«
»Das nehmen wir an. Wir werden dich auf dem Laufenden halten.«
Wir schauten zu Yul hinüber, dem es irgendwie gelungen war, den Polizeihauptmann zum Lachen zu bringen. Zwischen den beiden war irgendetwas entschieden worden. Der offizielle Teil der Unterhaltung war vorbei.
Der Hauptmann kam zu mir, machte ein paar anerkennende Bemerkungen darüber, wie kaputt ich aussähe und was für ein zäher Bursche ich sein müsse, und fragte mich dann, ob ich das weiterverfolgen – ob ich Anklage erheben wolle. Nein, sagte ich, was nach Strich und Faden gelogen war. Damit schloss ich anscheinend ein Geschäft ab. Nähere Einzelheiten wurden mir nie erklärt, das Wesentliche war aber, dass es uns freistand zu gehen. Die Anführer dieses Pöbels würden ungeschoren davonkommen, abgesehen von den
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