Anathem: Roman
introspektive Mensch erkennen würde – ich werde jetzt nicht zurückgehen und sie alle auflisten -, und hast versucht, sie zu vereinigen …«
»Meine große vereinheitlichte Theorie des Bewusstseins«, scherzte Orolo.
»Ja, du sagst, dass sie alle in einer besonderen Fähigkeit des Gehirns wurzeln, Modelle von kontrafaktischen Kosmen zu entwerfen und sie in der Zeit vorwärtslaufen zu lassen, ihre Plausibilität zu beurteilen und so weiter. Was vollkommen irrsinnig ist, wenn du das Gehirn als normale Synvor betrachtest.«
»Einverstanden«, sagte Orolo. »Es würde einer immensen Verarbeitungsleistung bedürfen, allein die Modelle zu entwerfen – ganz zu schweigen davon, sie vorwärtslaufen zu lassen. Die Natur dürfte einen rationelleren Weg gefunden haben, diese Aufgabe zu erledigen.«
»Wenn man aber die Quantenkarte ausspielt«, sagte ich, »verändert das die Partie vollkommen. Alles, was man jetzt braucht, ist ein verallgemeinertes Modell des Kosmos – wie die verallgemeinerte Landkarte, mit deren Hilfe eine Saunt-Grod-Maschine das Problem des Faulen Peregrin löst -, das ständig im Gehirn geladen ist. Dieses Modell kann in einer riesigen Anzahl möglicher Zustände existieren, und man kann ihm alle möglichen Fragen stellen.«
»Ich bin froh, dass du das jetzt genauso verstehst wie ich«, sagte Orolo. »Eine Kleinigkeit habe ich allerdings noch auszusetzen.«
»O Mann«, sagte ich, »dann mal los!«
»Unter Avot sind Traditionen nicht totzukriegen«, sagte Orolo. »Und für eine sehr lange Zeit war es Tradition, Fids die Quantentheorik auf genau die Weise beizubringen, wie sie von den Theoren, die sie damals zur Zeit der Vorboten entdeckt hatten, ausgelegt wurde. Und so, Erasmas, bist auch du darin unterwiesen worden. Selbst wenn ich dich nie zuvor gesehen hätte, würde ich es an der Sprache erkennen, in der du über diese Dinge redest: ›Es existiert in einer Überlagerung von Zuständen‹ – ›Durch die Beobachtung kollabiert die Wellenfunktion‹ und so weiter.«
»Ja. Ich weiß, worauf du damit hinauswillst«, sagte ich. »Es gibt – schon seit Tausenden von Jahren – ganze Orden von Theoren, die sich völlig anderer Modelle und Terminologien bedienen.«
»Ja«, sagte Orolo, »und kannst du dir vorstellen, welchem Modell, welcher Terminologie ich anhänge?«
»Je polykosmischer, desto besser, nehme ich an.«
»Natürlich! Wenn ich dich also über Quantenphänomene in der alten Terminologie sprechen höre …«
»Der Fid-Version?«
»Ja. Dann muss ich im Geist das, was du sagst, in polykosmische Begriffe übertragen. Nehmen wir als Beispiel den einfachen Fall eines Teilchens, das entweder Spin auf oder Spin ab ist …«
»Du würdest sagen, dass in dem Moment, wo der Spin gemessen wird – wo sein Spin sich auf den übrigen Kosmos auswirkt -, der Kosmos sich in zwei vollständige, voneinander getrennte und kausal unabhängige Kosmen gabelt, die dann ihrer getrennten Wege gehen.«
»Du hast es beinahe erfasst. Aber es ist besser, zu sagen, dass diese zwei Kosmen existieren, bevor die Messung durchgeführt wird, und dass sie sich gegenseitig stören – dass es ein paar Interferenzen zwischen ihnen gibt -, bis die Beobachtung gemacht wird. Und dann gehen sie ihrer getrennten Wege.«
»Und an der Stelle«, sagte ich, »könnten wir darüber reden, wie verrückt sich das für manche Leute anhört …«
Orolo zuckte die Achseln. »Dennoch ist es ein Modell, an das sehr viele Theoren früher oder später glauben, da die Alternativen sich am Ende als noch verrückter erweisen.«
»Also schön. Dann weiß ich, glaube ich, was als Nächstes kommt. Du möchtest, dass ich deine Theorie darüber, was das Gehirn tut, im Sinne der polykosmischen Interpretation der Quantentheorik neu formuliere.«
»Wenn du so nett sein würdest«, sagte Orolo mit der Andeutung einer Verbeugung.
»Gut. Los geht’s«, sagte ich. »Die Voraussetzung ist hier, dass im Gehirn ein ziemlich genaues Modell des Kosmos hochgeladen ist, in dem es lebt.«
»Zumindest des regionalen Teils davon«, sagte Orolo. »Ein gutes Modell anderer Galaxien braucht es zum Beispiel nicht.«
»Stimmt. Und um es in der Terminologie der alten Interpretation, die Fids beigebracht wird, zu formulieren, ist der Zustand dieses Modells eine Überlagerung vieler möglicher gegenwärtiger und zukünftiger Zustände des Kosmos – oder zumindest des Modells.«
Er hob einen Finger. »Nicht des Kosmos, sondern …?«
»Sondern
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