Anathem: Roman
vor zehn Millionen Jahren von einem glubschäugigen Monster auf dem Planeten Zarzax zusammengeträumt worden!«
Gelächter in der Runde.
»Glänzend!«, sagte Arsibalt. Er drehte sich um und sah mich an.
»Sie ist eine heimliche Halikaarnierin«, sagte ich.
»Genau!«
Fraa Lodoghir hatte das ebenfalls erkannt und versuchte, einen Einwand anzubringen: »Ich würde sagen, das kannst du erst wissen, wenn du mit diesem glubschäugigen Monster oder seinen Nachkommen kommunizierst …« Und dann käute er wieder, was er schon gesagt hatte. Ich trug in der Hoffnung, dass ihn das zum Schweigen bringen würde, eilends den Salat hinaus. Suur Moyra schien von seinen Argumenten nicht sehr angetan, und Ignetha Foral begann ein wenig frostig zu wirken.
Unterdessen hatte sich Arsibalts Doyn, der zufällig neben Fraa Jad saß, näher zu dem Tausender gebeugt und tuschelte mit ihm. Als ich den Mann das erste Mal gesehen hatte, war er mir merkwürdig vertraut vorgekommen. Erst als Arsibalt mir seinen Namen gesagt hatte, war mir aufgegangen, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte: wie er allein im Chor von Saunt Edhar gestanden und direkt zu mir heraufgeschaut hatte. Das war Fraa Paphlagon.
Fraa Jad nickte. Paphlagon räusperte sich, während Lodoghir allmählich zum Ende kam, und fuhr schließlich dazwischen: »Vielleicht könnten wir, während wir beweisen, dass alles, was Saunt Prok jemals geschrieben hat, schlicht vollkommen war, auch ein bisschen Theorik treiben!«
Das stopfte sogar Lodoghir den Mund, sodass ein kurzes Schweigen eintrat. Paphlagon fuhr fort: »Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, ein Messale über die Pluralität der Welten abzuhalten: einen
Grund, den manche für fast ebenso faszinierend halten würden wie Fraa Lodoghirs Bemerkungen über die Syntax. Es ist ein rein theorischer Grund, nämlich der, dass die Geometer aus anderem Stoff bestehen als wir. Einem Stoff, der in diesem Kosmos nicht vorkommt. Und außerdem haben wir gerade Ergebnisse aus dem Laboratorium hereinbekommen, welche die vier Fläschchen mit Flüssigkeit – die wir für Blut halten – aus der Ekbasonde betreffen. Diese vier Proben bestehen aus untereinander verschiedenem Stoff, das heißt, jede unterscheidet sich so sehr von den anderen drei, wie sie sich von dem Stoff unterscheidet, aus dem wir bestehen.«
»Fraa Paphlagon, ich habe das erst erfahren, als ich schon unterwegs war. Ich bin noch immer dabei, es zu verarbeiten«, sagte Ignetha Foral. »Bitte erzähl uns mehr darüber, was du meinst, wenn du davon sprichst, dass der Stoff verschieden ist.«
»Die Kerne der Atome sind inkompatibel«, sagte er. Dann, nach einem Blick in die Runde der Gesichter, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, grinste und hielt die Hände hoch wie zwei parallele Klingen, als wollte er sagen: »Stellt euch einen Kern vor«. »Kerne werden im Herzen von Sternen geschmiedet. Wenn die Sterne sterben, explodieren sie, und die Kerne werden hinausgeschleudert wie Asche von einem erloschenen Feuer. Diese Kerne sind positiv geladen. Wenn dann alles genügend abkühlt, ziehen sie Elektronen an und werden Atome. Weiteres Abkühlen ermöglicht es den Elektronen der Atome, miteinander zu interagieren und Komplexe zu bilden, die man Moleküle nennt und aus denen alles besteht. Aber – noch einmal – die Entstehung der Welt beginnt im Herzen von Sternen, wo diese Kerne gemäß Regeln geschmiedet werden, die nur an sehr heißen Orten gelten, wo es sehr voll ist. Die Chemie des Stoffes, aus dem wir bestehen, spiegelt diese Regeln auf Umwegen wider. Bis wir gelernt hatten, Neustoff herzustellen, entstand jeder Kern in unserem Kosmos nach dem in der Natur geltenden Regelkomplex. Aber die Geometer kennen vier andere, leicht unterschiedliche, aber vollkommen inkompatible Regelkomplexe für die Herstellung von Kernen – und sie bestehen aus ihnen.«
»Sie haben also«, sagte Suur Asquin, »auch gelernt, Neustoff herzustellen, oder …«
»Oder sie kommen aus verschiedenen Kosmen«, sagte Fraa Paphlagon. »Weshalb mir ein Pluralität-der-Welten-Messale ungemein relevant erscheint.«
»Das ist bizarr – abwegig!«, sagte eine schrille Stimme mit kräftigem, seltsamem Akzent. Soweit wir sahen, bewegten sich niemandes Lippen, weshalb wir uns per Ausschließungsverfahren dem Matarrhiten zuwandten, der als Zh’vaern am Glockenbrett stand, ohne dass ein »Fraa« oder »Suur« Aufschluss über sein Geschlecht gegeben hätte. Zh’vaern drehte sich leicht auf seinem
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