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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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ein umfunktioniertes ehemaliges Irrenhaus, massiv und grau. An jedem Ende des Parkplatzes stand eine neugotische Kapelle, eine kleiner als die andere.
    »Für Protestanten und Katholiken vielleicht«, sagte Seán. Oder für Personal und Patienten. Ich dagegen meinte, Männer auf der einen Seite, Frauen auf der anderen. Als wir aus dem Auto stiegen, betrachteten wir sie und dachten darüber nach: verstohlene Blicke über den Vorhof. Alles war vorhanden – Sack und Asche, Raserei, vereitelte Liebe.
    »Grundgütiger«, sagte Seán. »Irre im Grünen.«
    Dann wandten wir uns ab, gingen zur Rezeption und fanden uns inmitten zweier Junggesellinnenabschiedspartys wieder, eine Gruppe in schwarzen T-Shirts mit magentafarbenen Federboas, die andere in weißen T-Shirts mit pinkfarbenem Spruch auf der Front. Der Spruch lautete: »Tante Maggie ist auf dem Hof.«
    Ich drehte mich zu Seán, um ein Gesicht zu ziehen, aber er war nicht mehr da. Verschwunden. Ich konnte ihn nirgends sehen. In meiner Begriffsstutzigkeit drehte ich mich im Hotelfoyer mehrfach um die eigene Achse, während die Junggesellinnengruppen an der Anmeldung herumwuselten. Schließlich zog ich mein Handy heraus und fand eine SMS: »Melde dich an. Schick mir Nr. Komme nach.«
    Etwas, oder jemand, hatte ihm einen Schreck eingejagt. Und so reihte ich mich ein, die einzige Frau dort, die kein Pink trug, und geriet in Panik wegen meiner Kreditkarte, auf der doch mein Name stand und die irgendwann zu einer Kreditkartenrechnung führen würde, und da erkannte ich, dass das wahre Gegenteil von Verlangen Ärger ist.
    Das Zimmer war unglaublich schwer zu finden. Ich musste Kilometer von Korridoren durchqueren, einen Lift nach oben nehmen und einen weiteren nach unten. An den Wänden hingen Bilder, die zu den Teppichböden passen sollten: eine immer unerträglicher werdende Aneinanderreihung abstrakter Gemälde in Creme- und Kastanientönen, die aussahen, als stammten sie alle aus denselben zwei Farbtöpfen – die Rache der Insassen. Wie sich herausstellte, gehörte das Zimmer zum früheren Schwesterntrakt: ein separater, neuerer Anbau, der über einen Gang mit dem eigentlichen Hotel verbunden war; wenn man diesen entlanglief, hatte man das Gefühl, vom Wahnsinn zum Abendessen zu spazieren und wieder zurück. Ich wusste nicht, ob der Umgang mit diesen Gespenstern leichter war, wenn sie mit Flachmännern Wodka in den weißen Kitteltaschen zu Rendezvous mit Ärzten oder Pflegern oder mit hübschen, melancholischen Patienten schlichen. Als ich vorüberging, tanzte ein magentafarbenes Federbüschel über den Teppich, während ein uraltes Echo am Ende des Korridors von mir wissen wollte, was ich um diese Stunde und mit derart hohen Absätzen außerhalb des zulässigen Bereichs zu suchen hatte.
    Als ich das Zimmer erreichte, lauerte Seán bereits vor der Tür.
    »Wie hast du das geschafft?«, fragte ich.
    »Was geschafft?«
    Anscheinend war das alles von außen ganz einfach zu finden.
    Wir liebten uns, sobald wir das Bett erblickten, und wanderten anschließend durch die Zimmer – es handelte sich um eine ganze Familiensuite mit Wohnzimmer und Kochnische: dunkles Holz, gestreifte Kissen. Seán wirkte anders darin, häuslicher – und gebraucht.
    Dies war das Ende, das wusste ich. Ich glaube, wir wussten es beide.
    An jenem Nachmittag fuhren wir zu Rosses Point und küssten uns am Strand. Das winzige Fleisch seiner Lippen vor diesem gewaltigen Ozean. Als er den Mund öffnete, war mir, als würde ich eintauchen.
    Auf dem Rückweg entlang der Küstenstraße bog Seán in das Tor eines Hauses mit einem »Zu verkaufen«-Schild davor.
    »Bloß neugierig«, sagte er, als er die Einfahrt hinauffuhr, und wir parkten direkt vor dem Leben dieser Leute, wer immer sie waren, mit ihrem Mansardenbungalow aus den Achtzigerjahren, dessen Rasen bis ans Meer reichte.
    Sie hatten ein Trampolin im Garten und eine separate Garage – hübscher als das Haus selbst – mit Stellplätzen für zwei Autos.
    Vor dem Fenster wurde eine Silhouette sichtbar: eine Frau, die uns beäugte.
    »Willst du es kaufen?«, fragte ich.
    »Will ich es kaufen?« Wieder so eine Sache, die mich an ihm irritierte, sein Vergnügen daran, mit ausdrucksloser Miene zu wiederholen, was ich gerade gesagt hatte. Er nannte es »kalte Deutung«.
    »Bist du daran interessiert, das Haus zu kaufen?«
    »Jederzeit, meine Liebste«, sagte er. »Jederzeit.«
    Meine Liebste.
    Fünf lange Minuten, vielleicht mehr, harrten wir dort aus.

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