Anatomie einer Affäre: Roman
wenn ich sie doch zu Gesicht bekäme, nie wissen würde, wer ich war:
»Was für herrliche Aquarelle, Mrs Vallely. Sagen Sie bloß, die sind alle von Ihnen.«
Die Affäre, wie ich sie zu nennen lernte, setzte sich in freitäglichem Rhythmus fort. Der Sex wurde weniger schmutzig und eher vergnüglich, die Stille füllte sich mit Sprechen – oder gar Lachen –, und das beunruhigte mich. Jeder normale Satz, den er sagte, mahnte mich daran, dass wir nicht normal waren. Dass unsere Normalität die Ausmaße eines sechzehn Quadratmeter großen Hotelzimmers hatte. Draußen im Freien lösten wir uns in Luft auf.
An einem Märzabend lief ich ihm zufällig über den Weg. Ich war mit einem Kunden unterwegs, einem Kunststoff-Fritzen aus Bremen mit einem plattdeutschen Akzent, der so klang, als watschele jemand in Schuhen herum, die ihm drei Nummern zu groß sind. Es war kein glanzvoller Abend. Wir landeten im Buswells, um einen Absacker zu trinken, und in einer Ecke saß Seán mit ein paar Anzugträgern und war der King – irgendwie schaffen Männer das: Geld zu verdienen, indem sie einfach sie selbst sind.
Um dicht an ihm vorbeigehen zu können, nahm ich zur Damentoilette einen Umweg, und wir hatten einen komischen, flapsigen kleinen Wortwechsel. Da war er nun. Angezogen. Höflich. Er erkundigte sich nach meiner Arbeit. Ich antwortete ihm. Er wandte sich wieder den Anzugträgern zu, und ich ging weiter zur Toilette, wo ich so heftig zu zittern begann, dass ich meine Tasche nicht aufbekam, um eine Bürste herauszuholen. Einen Moment lang stand ich nur da und versuchte zu atmen. Dann wusch ich mir die Hände und trocknete sie sorgfältig mit dem kleinen weißen Handtuch ab. Ich berührte den Spiegel, wo mein Gesicht war, und presste die Stirn ganz fest gegen das Glas, dann ging ich zurück zu meinem Kunststoffmann.
Ich war zweiunddreißig. Dieser Tatbestand fiel mir ein, als ich mich wieder setzte und um mich blickte. Abgesehen von den Kellnerinnen war ich die jüngste Person im Raum.
Nach dem Zwischenfall bei Buswells wurde ich zickig und schwerer zu handhaben, und so spielten wir eine Zeit lang dieses Spiel: das Mätressenspiel. Er kaufte mir einen Hermès-Schal – ich meine, ich bin nicht gerade der Hermès-Typ – und zog ihn nach einem Kuss hinter seinem Rücken hervor, wie ein Mann in einem Fünfzigerjahre-Film, und ich fragte: »Hast du die Quittung behalten?«
Vierzehn Tage später förderte er von derselben magischen Stelle eine Flasche Parfüm zutage. Es war ein leichter, harmloser Duft namens Rain, und tatsächlich roch es ein wenig nach Regen. Anfangs lag es weich und warm auf der Haut (ich fragte mich, ob es wohl ein Parfüm namens Skin gibt), dann folgte ein Schwall frischer Luft. Ich fand es gar nicht so übel, auch wenn die Endnote etwas von jenen Trockner-Dufttüchern hatte, deren Chemikalienhauch an Wäsche erinnern soll, die im Freien aufgehängt wurde.
Ich stellte das Parfüm auf den Nachttisch, doch Seán hob es wieder auf und sprühte mir etwas davon auf den Nacken, bevor er mich auszog, und irgendwie war der Sex danach schwer einzuschätzen; er mühte sich ein wenig zu heftig ab, und ich wurde bei jeder Bewegung von dem künstlichen Regengeruch im Zimmer abgelenkt.
»Rain«, sagte ich. »Wie bist du darauf gekommen?«
»Ich dachte einfach, es würde dir gefallen.«
»Tut es auch«, sagte ich.
Eigentlich bin ich kein unechter Mensch, aber hinterher, als ich in all dem Geruch aus Weichspüler und trübseligen Regentagen die Falten um seine Augen mit dem Finger nachzog, klang meine Frage selbst in meinen Ohren unecht.
»Hast du das schon mal gemacht?«
Was mich fuchste, war das Parfüm.
»Was gemacht?«
Ich bin nicht die Sorte Frau, die Regen trägt.
»Das hier. Hast du das schon mal gemacht?«
»Ach, weißt du«, sagte er.
Als wir uns in der darauf folgenden Woche trafen, trug ich meine schwarzen Wildlederstiefel mit den Fransen entlang der Rückennaht, und ich saß im Sessel, schlug die Beine übereinander und sagte ihm, es sei Zeit, Schluss zu machen. Und nachdem er mir beigepflichtet und mich verführt und ich mich widersetzt und dann (nur ein ganz klein wenig) geweint hatte, erzählte er mir von der anderen Frau, der ersten. Er habe sie von der Arbeit gekannt, sagte er. Er hatte sie selbst eingestellt, stellen Sie sich das mal vor! Aber unglaublicherweise war es ihm gar nicht in den Sinn gekommen, außer dass er »nichts dagegen« gehabt hätte – und außerdem war er ja nicht
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