Anatomie einer Affäre: Roman
…
»Was?«, fragte ich.
Er war halt nicht frei. So einfach war das. Aber etwas an ihr, etwas an ihr zog ihn mehr und mehr an, ihre gewisse Art und ihr Tick mit dem Nagellack – diese winzigen Hände, und dann die Fingernägel in Kaugummifarben angemalt, sodass sie wie Süßigkeiten aussahen.
»Und?«, fragte ich.
Nun ja, sie war zweiundzwanzig, was sich toll anfühlt, klar. Aber was ihn über den Haufen warf, das waren seine Gefühle, sie kamen aus dem Nichts. Und sie war zweiundzwanzig. Nun war er also verliebt – oder glaubte, verliebt zu sein –, und er hatte ganz vergessen, wie es ist in dem Alter, aber sie war wirklich ein hartes Stück Arbeit. Sie war nicht direkt dumm – ihre Zwei im Leistungskurs Mathe erwähnte sie weiß Gott oft genug –, machte aber ziemlich erfolgreich einen auf dumm, indem sie unablässig von sich selbst redete, zwanghaft mit ihren Schenkeln beschäftigt war und ihn mit Gegenständen bewarf, wenn er ihr die verkehrten Nettigkeiten über ihre Schenkel sagte.
Und da sie keinen Alkohol vertrug, war sie ständig betrunken, faselte von ihrer Mutter oder ihrem grässlichen Vater, den Seán, wie sich herausstellte, sogar persönlich kannte, stritt sich mit Taxifahrern und brüllte auf der Straße herum. Und so hatte sie ihn bei den Eiern, diese Irre, er konnte sie ja nicht einmal feuern, das Risiko durfte er nicht eingehen. Und als es endlich vorbei war, dachte er: Das war’s nun also, das war meine Chance, meine Affäre. Das war mein großes Liebeserlebnis.
Ich wartete auf den nächsten Spruch.
»Bis ich dir begegnet bin.«
Und wir liebten uns ein zweites Mal. Ich war sehr verstört, auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ. Ich war verstört, weil ich mich von Anfang bis Ende so einsam fühlte.
Ich hatte begonnen, abends bei ihm zu Hause anzurufen, und auch das war verheerend. Es war verheerend, mich vor Ablauf der langen vierzehn Tage so nach dem Klang seiner Stimme zu sehnen – auch wenn es nicht unbedingt seine Stimme war, wonach es mich verlangte. Ich rief die Festnetznummer in Enniskerry an, die Apparate, die ich auf dem Konsolentisch in der Diele, an der Küchenwand und neben dem Ehebett gesehen hatte. Und irgendwo im Alltagstreiben des Haushalts wurde der Hörer abgenommen: Aileen mit schäumender Haarbleiche auf der Oberlippe, Evie bei den Hausaufgaben am Küchentisch, Seán offensichtlich andernorts. Beim zweiten oder dritten Mal legte Aileen nicht auf. Sie wartete, und die Stille ihres Lebens füllte die Ohrmuschel aus, ich hörte die Nähe ihres Atems, und sie spürte die Nähe des meinen.
Ich zog den Reißverschluss meiner Stiefel hoch und hielt erst das eine, dann das andere Bein in die Höhe, um die Fransen nicht einzuklemmen. Seán saß auf der Bettkante und befestigte seine Manschettenknöpfe. Er trug ein Hemd von unglaublich zartem Rosa. Sein Jackett hing über der Stuhllehne. Er erwähnte die Anrufe nicht. Er beugte sich vor, um seine schlichten schwarzen Schuhe zuzubinden.
Er sagte: »Auf so etwas solltest du dich nie einlassen – du solltest dich nie jemandem so preisgeben –, außer er hat sehr viel zu verlieren.«
An dem Abend rannte ich zu ihm nach Hause. Ich rannte nach Hause zu meinem Mann, zu seinen weisen braunen Augen, die in Wirklichkeit gar nicht weise waren, und zu seinem kräftigen, warmen Körper, der mich nicht vor der Kälte geschützt hatte.
Am Samstagabend öffneten wir eine Flasche Wein und schauten uns ein DVD-Set von The Wire an, und danach tranken wir noch eine Flasche, und trotzdem war ich, als ich in seinen Armen lag, wie betäubt von dem Gedanken daran, was ich verloren hatte: Die Bewegung seiner Hand war nur eine Bewegung, seine Zunge nur eine Zunge. Ich hatte es vernichtet: das Beste, was ich besaß. Als endlich die Schuldgefühle einsetzten, trafen sie mich mit erstaunlicher Wucht.
Dance Me to the End of Love
Mitte April war Seán Gastredner auf einem Motivations-Golfwochenende in Sligo, und wir hatten zwei gemeinsame Tage – ich weiß nicht mehr, welches Lügenmärchen ich erzählt habe, ehe ich in den Zug stieg –, zwei Tage und eine ganze Nacht, um die Affäre zu beenden; sie zu strangulieren, ihr eins über den Schädel zu geben, sie in einem flachen Grab zu verscharren und dann nach Hause zu fahren.
Seán holte mich am Bahnhof ab (Evie hatte ihre plüschigen Ohrwärmer auf dem Rücksitz liegen lassen) und brachte mich zu einem Hotel am Rande der Ortschaft, weit entfernt von den Golfern.
Das Hotel war
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