Anatomie einer Affäre: Roman
der richtige Elternteil gestorben. Fiona und ich gerieten uns bei seinem Andenken gelegentlich in die Haare – dann debattierten wir, was er gewesen oder nicht gewesen war (zum Beispiel gewalttätig, Fiona sagte: »Er war nie gewalttätig «), doch es gab keinen Zweifel, dass wir der Welt unbeschwerter begegneten, weil unser Vater sie verlassen hatte. Natürlich liebten wir ihn, aber wir wussten beide, um wie viel leichter das Leben war, nun da er sich nicht einfach nur »verspätet« hatte, »ausgegangen« oder gar »auf Wanderschaft« war, sondern endgültig und eindeutig tot, tot, tot. Keine Wiederkehr. Kein nächtlicher Schlüssel, der im Türschloss schabte.
Ich glaube nicht, dass ich Seán sehr viel von ihm erzählt habe, obwohl ihn das Leben, das wir nach Papas Tod geführt hatten, durchaus interessierte: die Moynihan-Frauen, ganz in Schwarz gekleidet. Ihm gefiel dieses Gemeinsamschwesterliche, er wollte – ich weiß auch nicht – Details aus unserer Teenagerzeit: Rumgeknutsche, Pannen mit der Unterwäsche. Er stellte sich uns gern als Heranwachsende vor; Fiona und ich, die wir, wie er es formulierte, die Hose eines jeden Jungen in Terenure in Aufruhr versetzten.
Er sprach ziemlich viel von seiner Mutter. Ich meine, es war klar, dass ich dieser Frau nie würde begegnen müssen, darum konnte er sagen, was er wollte. Ich würde mir nicht die üblichen Geschichten über Zärtlichkeit und Grausamkeit anhören und dann die Hand einer alten Frau schütteln müssen, nur um festzustellen, dass sie im Grunde ganz gewöhnlich war: etwas einfältiger oder etwas schlauer als erwartet, aber überraschend verblichen und menschlich, obgleich – wie mir von anderen Müttern in Erinnerung ist, die mir von nackten Männern beschrieben wurden – nicht immer vollkommen liebenswert. Jedenfalls erzählte er mir von seiner Mutter, genau wie es Conor getan hatte und vor ihm Fergus und vor diesem Axel aus Trondheim, der seine Mutter »Meen Moooor« nannte, und davor verschiedene andere, obwohl meine Jahre als Jungfrau davon meist verschont geblieben waren. Nach dem Sex, das ist der Zeitpunkt, wenn Männer von ihren Müttern reden; vor dem Sex fühlen sie sich etwas auf den Schlips getreten, wenn man ihre Mutter erwähnt. Was Töchter betrifft: Meine sexuellen Erfahrungen mit Vätern sind begrenzt, aber ich habe den Verdacht, dass Töchter nur dann erörtert werden, wenn jeder im Raum vollständig bekleidet ist. Töchter erörtert man bei Morgenlicht. Oder überhaupt nicht. Ich meine, sie sind vollkommen unerheblich und vollkommen tabu, beides zugleich.
Fang gar nicht erst an damit.
Gut. Von mir aus.
Aber ich weiche vom Thema ab: Margot, Seáns Mutter, Frau eines Bankdirektors und Sonntagsmalerin, die wahrhaftig jeden Tag um halb sechs einen Martini trank und keine Schönheit war, ihrer eigenen Einschätzung nach jedoch ein »interessantes Gesicht« hatte.
»Dünn?«
»Spindeldürr«, sagte er. »Hände wie«, und dabei ließ er die Finger auf die gleiche Art durch die Luft wirbeln, wie ich es damals in Montreux gesehen und geliebt hatte.
»Natürlich«, sagte ich.
Seáns Mutter benötigte Raum für ihre künstlerische und persönliche Entwicklung, und Seáns Vater wurde während seines Aufstiegs bei der Bank of Ireland alle paar Jahre versetzt; darum wurde Seán im Alter von zwölf Jahren auf ein Internat geschickt – und zwar nicht auf ein feines Internat, sondern zu den Kinderfummlern unten in Wexford, wo sie einem die Scheiße aus dem Leib prügelten und sich nicht einmal die Mühe machten, einem Französisch beizubringen.
Aber die Schule war ganz in Ordnung – niemand hatte Hand an ihn gelegt, weder auf die eine noch auf die andere Art –, an der Schule gab es eigentlich gar nicht so viel auszusetzen. Das Problem war die Mutter und ihr Gepinsel, Margot und ihre »Bedürfnisse«. Am Tag, als er seine Examensergebnisse erhielt, beschloss sie, dass es nun auch für sie an der Zeit sei, auf die Uni zu gehen; den ganzen Sommer litt er unter der Angst, seine Mutter würde in einer Ecke der Studentenbar im University College Dublin Hof halten. Am Ende entschied sie sich jedoch für eine Kunsthochschule, bevor sie sich dann eines anderen besann und beschloss, eine Therapieausbildung zu machen.
»Und hat sie das?«
»Hat sie was?«, sagte Seán. »Einen Scheiß hat sie.«
Ich fand, dass sie sich auf ihre Art ganz interessant anhörte. Beinahe tat es mir leid, dass ich sie nie zu Gesicht bekommen würde. Oder dass sie,
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