Anatomie einer Affäre: Roman
Strang, entzweizugehen begann: Sinéad mit ihrem guten Dreier-Abitur und einem Mund voller Jacketkronen, die sie sich auf Raten zugelegt hatte. Alice, die im Grunde ihres Herzens ein Hippiemädchen war und nur für ihre Reise nach Peru sparte. Ich sagte, ich würde mich für die bestmöglichen Konditionen einsetzen. Ich kündigte ihnen an, dass die Personalabteilung sich bei ihnen melden würde. Dann stand ich auf und streckte ihnen meine Hand entgegen. Dann eine Umarmung, denn eigentlich waren wir doch alle Freunde. Und dann gingen sie. Ich machte noch einige Fotokopien, steckte meinen Kopf zur Tür des Vertriebsleiters herein – er war bereits im Begriff, nach Hause zu gehen –, dann lief ich durch den Korridor der Lagerhalle. Ich duckte mich unter Gallonen von Fusel, die ein verlassener Gabelstapler wie zu einem Trinkspruch hochhielt. Da hatten wir’s: hochgestapelter Alkohol, Mauern von Alkohol, Alkohol auf Achse.
Ich fuhr zum Autobahnkreuz zurück, und nach fünf Meilen auf der Straße wurde das Auto von dem herannahenden sanften Sturm verschluckt, ein Traum aus roten Rücklichtern in schmutzig weißem Schneechaos. Alles war so still, und die anderen Fahrer waren so gelassen. Ich hätte verängstigt sein sollen, doch diese schleichende Gefahr hatte etwas Tröstliches und Angenehmes. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Als ich schließlich am Flughafen vorbeikam, war die Luft rein. Irgendwo dort drin, in einem Wirrwarr von Stornierungen, steckte Seán. Die Passagiere rannten von Flugsteig zu Flugsteig »wie eine Herde Ochsen«, sagte er. Ich kauerte mich über das Lenkrad und schaute nach oben, doch der Himmel, den ich durch die Windschutzscheibe sah, war bereits dunkel und frei von Flugzeugen.
Es war halb fünf.
Dem Radio zufolge hatte das gesamte Land frühzeitig die Arbeit niedergelegt und sich auf den Heimweg gemacht. Ich rechnete damit, dass Dublin das reinste Irrenhaus war, aber der Hafentunnel lag so leer und rein, dass er sich anfühlte wie die Zukunft, und als ich im Dunkel der Innenstadt wieder auftauchte, waren die Kaistraßen verwaist. Ich stellte mir vor, dass der Verkehr sich wie ein Nachbeben ausbreitete und als Schmutzrand an die Ausläufer der Dubliner Berge gespült wurde, dort, wo der saubere Schnee begann.
Die Schulen hatten vorzeitig geschlossen. Ich fragte mich, ob es Evies Mutter gelingen würde, sie abzuholen, oder wie sie sonst nach Hause käme. Ich war schon drauf und dran, ihre Nummer zu wählen, aber dann ließ ich es bleiben. Ich habe Evie noch nie angerufen, dabei macht es uns nicht das Geringste aus, miteinander zu reden, wenn wir zufällig miteinander verbunden werden.
Als ich nach Terenure kam, war das Haus dunkel, leer und kalt. Ich stellte die Heizung an und sah nach meinen E-Mails, aber es fiel mir schwer, zur Ruhe zu kommen. Ich wartete auf Seáns Rückkehr, dabei war er nicht einmal abgereist. Es machte mich sonderbar wütend, ihn mir in der Fischbar mit einem Teller Räucherlachs und einem Glas Weißwein vorzustellen. Weder hier noch dort. Ein Mann, dem Abflughallen nicht fremd sind.
Seán brauchte sieben Monate, um von Enniskerry loszukommen. Nachdem ich Conor verlassen hatte, stieg er sieben Monate lang aus meinem Bett, setzte sich in sein Auto und fuhr nach Hause, damit er morgens zur Stelle war, um seiner Tochter Porridge zu kochen (mit Zimt) und ihrer Mutter einen Abschiedskuss zu geben.
Nur einen flüchtigen natürlich.
Sieben Monate lang durfte ich nicht anrufen, simsen oder E-Mails schreiben; denn jetzt, da unsere Liebe dringlicher und süßer war – in jenen letzten Tagen, bevor er damit herauskam –, galt es mehr denn je, im Geheimen zu agieren.
Aber er kam nicht damit heraus. Nach Weihnachten, sagte er. Er könne es nicht vor Weihnachten tun. Sie kauften Evie ihren ersten Laptop – ein kleines Notebook. Er hätte selbst gern eins, wenn er es sich leisten könnte, sagte er. Und lachte.
Jenes Weihnachtsfest – ich kann an jenes Weihnachtsfest nicht einmal denken. Wer immer Weihnachten erfunden hat, den sollte man erschießen.
Und als es ihn schließlich um zwei Uhr morgens nach wer weiß was für einem Sturm an meine Türschwelle schwemmte, als er sich in jenem Frühjahr endlich von ihr befreite und zu mir kam, da kam er nicht, um zu leben, sondern nur, um auszubrechen. Gelegentlich verbringt er noch immer eine Nacht auswärts – in Enniskerry, nehme ich an. Ich frage nicht nach. Wenn in Irland eine Scheidung ansteht und man auszieht,
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