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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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hatte Evie in einem Tiefschlaf vorgefunden, aus dem sie nicht geweckt werden konnte. Aus dem Mund des Kindes kam ein Rinnsal getrockneten Blutes, nicht viel – offenbar hatte sie sich in die Wange gebissen. Und sie hatte sich in die Hosen gemacht.
    »Ich wechsle ihre Wäsche«, sagte das Au-pair-Mädchen. Und sie zuckte mit den Achseln, als würde man ihr zumuten, unter Wilden zu leben.
    Als Seán einige Zeit später hereinkam, fand er seine Frau zitternd in einem Sessel vor, während Evie sich mit blasser, wichtiger Miene die Teletubbies ansah und das Au-pair-Mädchen am Telefon im Obergeschoss ein rasend schnelles Spanisch sprach – vermutlich mit ihren Eltern. Tatsächlich hatte Aileen das Mädchen geohrfeigt, doch davon wusste Seán vorerst nichts. Erst später sollte er davon erfahren, als die Streitereien begannen. Und obwohl das Zimmer oben auch weiterhin das Au-pair-Zimmer genannt wurde, gab es danach gar kein Au-pair-Mädchen mehr, und von da an – von jenem Augenblick an – war sein Leben …
    »Was?«
    »Anders als erwartet«, sagte er.
    Und wir wandten uns von der Flussmauer ab, von der aus er das Wasser unter uns betrachtet hatte, und gingen weiter.
    Abgesehen von einigen vorbeiflitzenden Radfahrern waren die Uferwege ruhig. Wir überquerten eine eiserne Brücke, die von vier wunderschönen eisernen Vögeln bewacht wurde. Ich sagte: »Bring sie doch nach Terenure.«
    »Das kann ich nicht«, sagte er.
    »Warum nicht?«
    »Ich kann’s einfach nicht.«
    »An einem Freitag, wenn ich unterwegs bin. Versuch’s einfach. Bring sie einfach mit rein.«
     
    Als wir nach Terenure zurückkehrten, blickte er sich prüfend um. Dann ging er zum pinkfarbenen Laden und kaufte ihr eine pinkfarbene Bettdecke und ein pinkfarbenes Kopfkissen. Außerdem kaufte er einen dazu passenden Baldachin für das Bett.
    »Der ist mir ins Auge gefallen«, sagte er.
    »Wie alt ist sie gleich noch mal?«, fragte ich.
    Also fuhr er wieder in die Stadt und tauschte die pinkfarbene Bettwäsche gegen eine um, die mit Obstschnitzen in Säuregelb und Limettengrün verziert war. Dazu kaufte er einen limettengrünen Bademantel mit lila Besatz und überdimensionale Pantoffeln mit Hundegesichtern auf den Zehen.
    Er kaufte ein iPod-Dock in Gestalt eines Plastikschweins und als Stellfläche eine kleine weiße Kommode. Er kaufte ein Fischglas und einen Goldfisch in einem durchsichtigen Plastikbeutel. Ich fragte: »Und wer füttert den?«
    »Ich«, antwortete er.
    Er reichte ihn mir für einen Augenblick, und ich hielt ihn ans Licht. Ein orangefarbener Fisch, der in seiner hellen Wasserblase umherschoss und stillstand, umherschoss und stillstand.
    Glück im Beutel.
    Mindestens einen Monat lang fütterte ihn Seán getreulich jeden zweiten Tag, dann bekam ich eines Abends eine SMS: »Kümmer dich um den Fisch!!!!!!!!!!!«
    Nun füttere ich ihn also, und er ist noch am Leben. Ein Fisch namens Scratch. Wenn es im Haus still ist, kann man hören – tatsächlich hören –, wie er mit der Nase Steinchen anhebt und den Kies durchstöbert. Als Evie das erste Mal übernachtete, behauptete sie, das Geräusch halte sie die ganze Nacht über wach, es sei der lauteste Fisch auf Erden.
     
    Heute Nacht verhält selbst Scratch sich ruhig. Es hat wieder zu schneien begonnen, und die Reifenspuren auf der Straße verwandeln sich in weiche weiße Höcker und Hügel. Die Verkehrsampeln schalten auch weiter um. Evies Zimmer am Ende des oberen Flurs ist ein gepolsterter Schrein in Limettengrün und Säuregelb, mit Kernen im blutroten Lächeln der Wassermelone. Ihre Kleider in der kleinen weißen Kommode tendieren im Lauf der Monate mehr zu Schwarz, haben an den richtigen Stellen Risse, Totenköpfe und schäbige Tüllkragen. Ihr Vater lässt sie tragen, was sie will. Sogar von einem Teppichboden hat er geredet, damit ihre paillettenbesetzten Sneakers besser zur Geltung kommen, wenn sie nicht da ist. Es ist, als hätte er vergessen, wo er sich befindet.
    »Ein neuer Teppichboden?«, frage ich.
    »Vielleicht ein Läufer.«
    Jetzt staubsauge ich also den Läufer.
    Bezahlt habe ich den Läufer nicht.
    Allerdings hätte nicht viel gefehlt – diese Frau nimmt ihn aus.
    Der Läufer ist mit großen farbigen Quadraten bedeckt. Er sieht fabelhaft aus. Und ich beklage mich nicht. In Haushaltsdingen ist Seán sehr penibel. Man ertappt ihn nie dabei, aber nachdem er sich die Zimmer vorgenommen hat, wirkt das Haus heller, ordentlicher. Schon möglich, dass seine Waschmitteltabs im

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