Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
Vom Netzwerk:
Dunkeln leuchten, aber sie bringen meine Sachen zum Duften wie sonst nur Sonnenschein.
    Jetzt schläft er, wo immer er sich aufhält. Er träumt Zahlen, Kalkulationen, Präsentationen: Er träumt von Zimmern. In diesen Zimmern sind Frauen, aber fragen Sie ihn nach dem Aufwachen nicht, um welche Frauen es sich handelt.
    »Ich träume nie von Menschen, die ich kenne. Selten«, sagt er.
    Ich klappe den Deckel meines Laptops zu und horche. Im Haus ist ein Geräusch – es hört sich an wie der Fisch, aber es ist nicht der Fisch. Irgendetwas Winziges.
    Ich gehe die Räume im Erdgeschoss durch, doch das Geräusch scheint sich zu verlagern, je länger ich es aufzuspüren versuche. Ich hebe Sofakissen hoch und lausche am Kaminsims. Ich gehe hinaus und steige die Treppe empor, nur um innezuhalten, noch ehe ich den Treppenabsatz erreiche. Irgendwo zwischen Kopf und Fuß der Treppe. Ich steige hinauf und wieder hinunter. Ich wende mich nach links und wende mich nach rechts. Ich bleibe stehen und horche.
    Schließlich ziehe ich hastig Seáns Sporttasche aus dem Kämmerchen unter der Treppe. Seine Sachen sind in der Wäsche, aber seine Trainingsschuhe sind noch da, außerdem ein Kulturbeutel und eine Dose Talkumpuder. Ich zerre an ein paar neongrünen Kabeln, bis der Kopfhörer seines iPods zum Vorschein kommt. Es sind Jogging-kopfhörer mit einem steifen Band, das um den Nacken geschlungen wird – von der Sorte, die ein bisschen albern aussieht, selbst wenn man tatsächlich joggt. Es dauert eine Weile, bis ich das Ding ganz herausgezogen habe. Eingesperrt, wie sie ist, wirkt die Musik ganz dünn und hektisch. Ich halte mir einen der Stöpsel ans Ohr, wobei das Band sich an meiner Wange verdreht, und da höre ich, wie sie sich öffnet, eine wahre Kathedrale an Klang.
    »Hör dir das an!«, hatte er eines Abends gesagt. »Hör dir das an!«, und hatte den iPod in Evies Plastikschwein-Lautsprecherdock gesteckt; eine lächelnde Diva auf dem Display und – wenn man sich von der schwülstigen Erhabenheit erst einmal erholt hatte – eine Stimme, die etwas sang, das zu verstehen man niemanden nötigen sollte.
    Da ist sie wieder, baumelt vom anderen Ende des leuchtenden Kabels. Die »Vier letzten Lieder« mit Elisabeth Schwarzkopf. Er hat doch wohl nicht zu den »Vier letzten Liedern« das Laufband getreten? Ich setze mich auf den Fußboden und höre noch eine Weile zu, bevor ich das Gerät ausschalte und es wieder in den schalen Geruch der Sporttasche werfe. Ich halte mich nicht länger auf. Ich öffne nicht die Reißverschlüsse der Seitentaschen oder untersuche seine Toilettenartikel oder hebe den rechteckigen Boden der Tasche an, um zu sehen, ob sich darunter ein längst vergessenes oder frisch verstautes Kondom verbirgt. Ich drücke lediglich auf die Pausentaste des iPods und schiebe alles wieder unter die Treppe.
    So still ist Dublin in dieser Schneenacht.
    Mein Vater, der im Esszimmer klassische Musik hört; seine Papiere liegen in Stapeln auf dem polierten Tisch, der Sonnenuntergang füllt das Zimmer mit satten Farben. Wie schön das ist.
    Jetzt ärgere deinen Vater nicht .
    Mein Vater, der mit geschlossenen Augen im Sessel sitzt; ein Arm hängt seitlich herab. Er ist tot oder schläft. Leidenschaftlicher Tod. Leidenschaftlicher Schlaf. Vielleicht ist er auch nur weggetreten. Was für eine Musik war das?
    Ravels Bolero .
    Ah. Die Achtziger.
    Ich erhebe mich, und als ich mich umdrehe, steht er hinter mir, spricht ins Telefon und bläst seinen Rauch in die altmodische Kälte der Diele. Hier draußen hat er sein ganzes Leben verbracht, muntere Gespräche geführt, über nichts, worauf man den Finger hätte legen können. Wir hörten ihm zu, Fiona und ich, um herauszufinden, ob er etwas sagen würde, das wir verstehen konnten, ein Wort wie »Geld« oder »testamentarisch nicht geregelt« oder gar »Grafschaftsrat«, doch er konnte zwanzig Minuten ohne Hauptwörter, Namen oder sonst etwas auskommen, dem sich eine Bedeutung abgewinnen ließ. »So ist das eben«, sagte er oder: »Na ja, so ist er halt nun mal«, und dabei gluckste er fachmännisch. Die ganze Zeit spielte er bedächtig mit seiner glimmenden Zigarette, legte sie achtsam auf die Tischkante und stupste sie immer weiter vor, um die brennende Spitze vom Holz fernzuhalten.
    »Das kann man wohl sagen. Haha. In der Tat.«
    Und ich erinnere mich, wie sich unser Vater später, im Esszimmer, als die Musik ihm keinen Halt mehr bot, über die Abenddämmerung erregte und sich immer

Weitere Kostenlose Bücher