Anatomie einer Affäre: Roman
passend zu ihrem Auto aussuchen, prestigesüchtig, widerlich, verlogen. Finde ich jedenfalls. Der langweilige alte Shay war vermutlich noch der beste von allen. Dann stürzte sie sich in die Mutterschaft – in der Hoffnung, dort sicher zu sein und endlich von allen in Ruhe gelassen zu werden.
Doch im Frühjahr 1989, sechs Monate nach Miles’ Tod, war meine Schwester hübsch und ich ausgesprochen unternehmungslustig. Joan schraubte eine Fluppe in ihren weißen Plastikfilter und kramte Puder und Rouge hervor. Wir waren die Moynihans aus Terenure. Es war unsere Pflicht, eine Schlange junger Männer vor der Haustür zu haben.
Auf der anderen Seite der Straße – die jetzt eine viel befahrene Straße ist – befindet sich die Bushaltestelle, wo ich mich von jenen ersten Auserkorenen zu verabschieden pflegte. Stundenlang hockten wir auf der Mauer oder schlenderten unter irgendeinem Vorwand (»Mal schauen, was um die Ecke los ist!«) zu einer ausgedehnten Rumknutscherei um die Ecke. Rory oder Davey oder Colin oder Fergus: Angeblich ging es um ihre Augen oder ihre Stirnfransen oder ihren Musikgeschmack, aber sosehr ich mir auch einzureden suchte, dass ich sie der Reihe nach liebte, mit Gekritzel in meinen Schreibheften und Gekreische unter Freundinnen, ging es doch immer nur um eins: den Dieselgeruch der Busse, die länger werdenden Abende und das Küssen im Freien, bis uns die Nasenspitzen abfroren. Damals bekam ich schon eine Gänsehaut, wenn ich nur an die frische Luft trat. Allein die Straße hinunterzugehen, meine schönen Gedanken zu denken, die gelben Blüten der Forsythien aus Nachbars Garten zu pflücken und sie auf dem Fußweg zu zerfitzeln – auch dafür war Küssen die Lösung.
Ich brauchte lange, bis ich in sexueller Hinsicht zu ernsthafteren Dingen überging, und ich glaube, Fiona auch. Die Moynihan-Mädels waren altmodisch. Es hatte damit zu tun, dass unsere Mutter Witwe war; wir hatten ein instinktives Gefühl für Macht.
Fiona war es, die ich an jenem ersten Weihnachtsfest in Terenure vermisste. Seán war in Enniskerry und spielte den Weihnachtsmann für ein Kind, das nicht länger an den Weihnachtsmann glaubte. Aileen servierte vor dem Mittagessen einen leichten Sherry Fino. Ich war allein. Und der Mensch, den ich vermisste, war meine Schwester: die Frau, die froh – ausgesprochen froh – war, dass unsere Mutter tot war, damit sie nicht miterleben musste, wie ich mich aufführte.
Damit lag sie übrigens falsch. Meine Mutter hätte es verstanden. Meine Mutter mit ihrem gut aussehenden, strapaziösen Mann. Sie hätte mir einen Kuss auf den traurigen Scheitel gegeben.
Ich schlüpfe zwischen den Wohnzimmergardinen hindurch und drücke meine Stirn ans Glas. Die Stores fallen mir über den Rücken, das orangefarbene Licht der Straßenlaternen färbt die Schatten violett, und ich erinnere mich an Kindheitsschnee oder glaube mich doch daran zu erinnern. Miles brachte uns zu dem großen Hügel im Bushy Park, den auf Teetabletts, Surfbrettern und Plastiktüten bereits die halbe Nachbarschaft hinuntersauste. Festhalten! Die Enten schlitterten entrüstet über den unnachgiebigen Teich, und unser Geschrei prallte an einem niedrigen, leeren Himmel ab.
Hinter mir im Zimmer steht Miles, die alte Hupfdohle; der Teppich ist aufgerollt. Einmal um die Anrichte!
Er bringt mir irische Volkstänze bei, singt mir die Schritte vor: eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, tiefer Kick, auf die Zehenspitzen, Ferse runter, wumm, hoher Kick, Fersenschritt, ta-tamm.
Und einen Moment lang kümmert es mich nicht, was für ein Mann er ist. Vielleicht liegt’s daran, wie der Schnee den Raum erweitert, aber einen Moment lang sind alle Erinnerungen an meinen Vater süß wie Konfekt und duften nach Winter: Zuckerguss, unter stiebenden gelben Funken ins Kaminfeuer geworfen, eine Kiste Satsumas, noch kalt von der Garage, meine Mutter in einem nordischen Strickpullover, Miles, der, eine Tochter unter jedem Arm, auf der Türschwelle steht und zuhört, wie Mr Thomson weiter unten in der Straße auf seinem Militärhorn »Stille Nacht, heilige Nacht« spielt. Natürlich hatte Weihnachten in diesem Haus immer auch etwas Qualvolles – ehe der Tag zur Neige ging, gab es immer irgendeine Krise um den gut aussehenden, besoffenen alten Miles. Aber der Anfang ließ sich gut an: Wir platzten durch die Tür und fanden unsere Geschenke, die an beiden Enden des Sofas aufgestapelt waren, Fionas an einem, meine am anderen. Ein großes, gemütliches
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