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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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wenn die Tür sich schließt, wenn die Gäste nach Hause gehen …
    Sie sind völlig unterschiedliche Menschen. Die Leute lieben Conor, aber Seán lieben sie nicht. Zu Seán fühlen sie sich hingezogen, was nicht dasselbe ist. Denn Seán steht ständig der Schalk in den Augen, und in der Regel ist man selbst das Opfer, weil er einen gern neckt. Und er gibt gern ein bisschen an. Und lässt andere gern als Idioten dastehen.
    Mein grauhaariger Junge.
    Er lobt immer die Sache, bei der man es am wenigsten erwartet. Nie ist es die Sache, bei der man sich besondere Mühe gegeben hat: das Kleid oder der Schmuck oder die Frisur. Er lobt die Sache, die verkehrt ist, sodass sie im Laufe der Nacht immer verkehrter wird.
    »Was meinst du?«
    Ich komme die Treppe herunter, fertig zum Ausgehen. Etwas an meinem erwartungsvollen Blick verdrießt ihn.
    »Der Lippenstift gefällt mir.«
    Dieser Tage ist es immer mein Mund. Ich hätte ihm nicht von meinem Vater im Hospiz erzählen sollen. Das weiß ich jetzt. Ich erzähle ihm immer weniger.
    Mein armer, ausgefranster Mund.
    Seán Peter Vallely, geboren 1957, zur Unausstehlichkeit herangebildet von den Holy Ghost Fathers, zur Unausstehlichkeit herangezogen von seiner Mutter Margot Vallely, die ihn natürlich sehr liebte, aber überaus enttäuscht war, dass er nicht größer werden wollte.
    Es könnte einen schlichtweg fertigmachen – dass dieser Mann einfach nicht in der Lage ist, zu verlieren.
    Ich bin erst vierunddreißig. Und so ertappte ich mich bei dem Gedanken: Es ist noch Zeit. Da ist die Sache mit dem Fett an seiner Brust – ich meine, er hat sehr wenig Fett an der Brust, und ohnehin macht es mir nichts aus –, aber diese Fettschicht hat etwas, eine Angestrengtheit, die entmutigend wirkt. Und es macht mir wirklich nichts aus, bis seine Augen mich überprüfen, als würde ihn der Spiegel nicht sehen.
    Dann, als wüsste er, was ich denke, sagt er: »Schau dich an. Du solltest dich da draußen umtun. Das solltest du wirklich.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht.«
    Keiner von uns kann das Wort »Baby« aussprechen.
    »Ich will mich nicht da draußen umtun«, sage ich. Und denke: Das wird er als Ausrede benutzen, wenn er mich loswerden will .
    Und: Auch das ist eine Taktik von ihm .
    Eines Samstags kam ich spät zurück, nachdem ich, wie in alten Zeiten, mit Fiachra im Reynards gelandet war und wir bis drei Uhr morgens Stuss geredet hatten. Ich taumelte im Schlafzimmer umher, und als ich meine Kleider abwarf, hopste ich zugegebenermaßen ein bisschen auf und ab. Dann sprang ich ins Bett und kuschelte mich an.
    Seán, der geschlafen hatte, wollte nichts davon wissen. Die Erinnerung ist trübe, doch zwischen einem Grapscher und dem nächsten muss ich wohl eingepennt sein. Nur um etwa zwei Stunden später höchst alarmiert zu erwachen – vermutlich, weil er mich im Schlaf geschubst hatte. Er lag mit offenen Augen im Dunkeln, und zwar eindeutig bereits seit geraumer Zeit. Er sagte etwas – etwas Scheußliches, ich weiß nicht mehr, was –, und schon waren wir im Begriff, die Beziehung zu beenden, brüllten, griffen nach Bademänteln, knallten Türen. Es ging um Fiachra und um alles, und dazwischen gab es nichts.
    Du hast immer.
    Du hast nie.
    Die Sache mit dir ist .
    Auf gespenstische Weise war es, als wären wir verheiratet. Allerdings gab es entscheidende Unterschiede im Stil. Conor zum Beispiel hat sich immer gern aufs hohe Ross gesetzt, während Seán sich damit gar nicht erst abgibt – er sagt, die Luft da oben bekommt ihm nicht. Nein, Seán ist nicht gekränkt, er wird gemein, und er wird kalt, und so ende ich jedes Mal weinend in einem anderen Zimmer oder versuche, ihn zu besänftigen. Sitze schweigend da. Hebe die Hand, um ihn zu berühren. Strenge mich mächtig an. Locke ihn wieder zu mir.
    Dann erst ist er gekränkt.
    Wie auch immer.
    Sich wieder vertragen ist immer wunderbar.
    Und obgleich ich die Zukunft verpasse, die ich hätte haben können, und jedes einzelne von Conor Shiels’ drallen Babys, glaube ich nicht, dass es eigensüchtig ist, sich etwas Heiles und Schönes zu wünschen, an dem Wissen festzuhalten, das sich einstellt, wenn man dem anderen in die Augen schaut.
    Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.
    Ich dachte, es würde ein anderes Leben werden, aber manchmal ist es dasselbe Leben in einem Traum: Ein anderer Mann kommt zur Tür herein, ein anderer Mann hängt seinen Mantel an den Haken. Er kommt spät nach Hause, er geht zum Sportstudio, er bleibt im

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