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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Sofa aus dunkelrotem Frotteestoff, dessen Nähte mit beigen Fransen verziert waren.
     
    Da sitze ich bei meinem Vater auf dem Schoß, eine kleine Pièta. Ich warte darauf, gekitzelt zu werden, und stelle mich tot.
    Mein Vater hebt eine Hand und hält sie in die Höhe.
    »Ungefähr so?«
    »Ich bin tot!«
    Ich suche mich ihm zu entwinden, und als ich zwischen seinen Knien hindurchrutsche, stößt er zu, findet die Zwischenräume zwischen meinen Rippen und krallt sich hinein. Als ich auf dem Teppich lande, bin ich schon ganz außer mir. Ich bin aus meiner Haut gefahren und klebe am rotierenden Fußboden. Ich bin dabei, meinem Körper zu entfliegen, und nur deswegen an ihn gefesselt, weil seine Finger mich zusammenhalten.
    »Nein! Nein!«
    Mein Vater kitzelt mich vom Sofa aus, während ich mich am Boden krümme und meine Schultern sich in den Teppich wühlen.
    »O nein!«
    Seine Zigarette klemmt zwischen den zusammengepressten Lippen. Mit einer mächtigen Hand umfasst er meine Knöchel, dann wendet er sich ab, um die Zigarette in den Aschenbecher zu legen.
    »Ach, das Mäuseken«, sagt er. »Ach, das Mäuseken«, und seine Finger tanzen und krabbeln über meine weichen Fußsohlen.
    Tot sein war wie gekitzelt werden, außer dass man, wenn man dann seinem Körper entflog, nie mehr wiederkehrte.
     
    Als ich etwa zwölf war, pflegte ich Astralreisen zu unternehmen – das muss wohl damals Mode gewesen sein. Ich lag rücklings auf meinem Bett, und wenn ich völlig schwer war, zu schwer, um mich noch zu regen, erhob ich mich im Geiste und verließ das Haus. Ich schwebte die Treppe hinunter und zur Eingangstür hinaus. Ich ging oder schwebte die Straße entlang. Wenn ich wollte, flog ich. Und ich dachte mir, oder sah, jedes einzelne Detail der vorüberziehenden Welt; jedes Detail der Diele oder der Treppe und der Straße dahinter. Am folgenden Tag ging ich aus dem Haus, um nach Dingen Ausschau zu halten, die mir am Abend vorher erstmals aufgefallen waren. Und fand sie auch. Oder glaubte es zumindest.
    Die Pubs haben zugemacht: In der Ferne hört man Rufe und das Gekreisch von Mädchen. Ich lehne die Stirn gegen das kalte Glas, und die Ampel springt um und springt abermals um. Es ist Zeit, zu Bett zu gehen. Aber ich will noch nicht zu Bett gehen. Ich möchte ihnen noch ein Weilchen Gesellschaft leisten: meinem Vater und meiner Mutter, die über den herrlich leuchtenden Bogen der Toten verteilt sind.

Paper Roses
     
    Vor einigen Monaten begegnete ich Conor in der Grafton Street. Er schob einen Buggy, was mich stutzen ließ, doch dann erkannte ich neben ihm seine Schwester, die aus Bondi zurück war. Er schien nicht überrascht, mich zu sehen. Er schaute auf und nickte, als hätten wir verabredet, uns zu treffen.
    Mir fiel auf, dass seine Lippen spröde waren. Sein Gesicht war zu grell beleuchtet – die Sonne geht genau am Ende der Grafton Street unter –, und als wir einander umkreisten, um einander besser sehen zu können, hatte ich die absurde Sorge, meine Haut könnte gealtert sein.
    »Ganz gut. Und dir?«
    »Ja.«
    Seine Schwester beobachtete uns mit einer derart tragischen Miene, dass ich sie am liebsten gefragt hätte, ob ihr Wellensittich gestorben sei.
    »Ach du meine Güte!«, sagte ich stattdessen und beugte mich vor, um einen Blick unter die Buggyhaube zu werfen. Dort war ihr Baby, ein kleines Wunder von Mensch, und sah mir geradewegs in die Augen.
    »Süß!«, sagte ich und fragte, wie lange sie bleiben wolle und was es Neues aus Sydney gebe, während Conor vom bloßen Dastehen immer matter zu werden schien.
    Nachdem ich weitergegangen war, hörte ich in meiner Tasche das Piepen einer SMS.
    »Sind wir verheiratet?«
    Ich ging weiter. Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Eine zweite SMS traf ein.
    »Müssen über Sachen reden.« Daraufhin blickte ich mich kurz um, aber Conor steckte daumentief in seinem Handy. Auch dicker war er, in dem harschen Licht. Oder nein, eher kräftig als dick. Er sah auf, und als ich mich abwandte, hatte ich den Eindruck, als ob sein erstaunliches Gewicht auf meinem gesamten Körper läge, vom Scheitel bis zur Sohle.
     
    »Ich meine ja bloß«, sagte Fiachra. »Er ist klein, gut aussehend, humorvoll.«
    »Und?«
    »Er ist dein Typ.«
    »Ich habe keinen Typ.«
    »Ich meine ja bloß.«
    Na gut, beide sind also eher klein. Beide sind angenehm im Umgang; beiden ist nicht leicht beizukommen. Aber unter all seinem Charme ist Conor eher geistesabwesend. Und Seán? Wenn die Party aus ist,

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