Anatomie einer Affäre: Roman
Internet hängen. Wir verbringen unsere Abende nicht in Restaurants und dinieren auch nicht mehr bei Kerzenlicht, meist essen wir nicht einmal gemeinsam. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Dass keine Quittungen abgeheftet werden müssen oder dass es keine schiefen Küchenschränke gibt oder dass Seán beim Betreten eines Zimmers eine kleine Wandleuchte anknipst, statt auf den Schalter für das Deckenlicht zu drücken. Seán existiert. Er kommt, er geht. Er vergisst, mich anzurufen, wenn er aufgehalten wird, sodass das Abendessen kalt wird: Lammfleisch von Butler’s Pantry mit Puy-Linsen, die ich in der Mikrowelle erhitze. Er liest Zeitung – übrigens ziemlich viel –, und an alledem ist wenig auszusetzen, aber bisweilen bringt mich sein Eigensinn, oder vielleicht der Eigensinn aller Männer, auf die Palme.
Es ist, als wüssten sie nicht, dass man existiert – es sei denn, man steht direkt vor ihnen. Wenn Seán fort ist, denke ich die ganze Zeit an ihn. Wer er ist und wo er ist und wie ich es ihm recht machen kann. Ich habe ihn in meiner Obhut. Die ganze Zeit.
Und dann kommt er zur Tür herein.
Seán im Garten meiner Schwester in Enniskerry, mit dem Rücken zu mir und dem Blick zur Aussicht, und neben ihm die Eberesche, in deren Ästen – eigentlich sind es erst Zweige – sich ein Hüpfseil verfangen hat.
Es ist ein warmer Tag gewesen, und ich habe viel Chardonnay getrunken. Ich bin seit Kurzem aus Australien zurück. Ich bin verliebt, und ich gebe mir wirklich viel Mühe mit dieser ganzen Enniskerry-Sache, mit den Nachbarn und den Kindern. Daher ist der Mann, der am Ende des Gartens steht, nur ein kleiner Riss im Gewebe meines Lebens. Wenn er sich nicht umdreht, kann ich den Riss wieder vernähen.
Seán steht in seinem Pyjama am Fenster, das von Eisblumen überzogen ist. Oder er steht im Sommerlicht, und sein nackter Rücken ist ein Puzzle aus Muskeln und Knochen – von hinten sieht er noch immer wie ein junger Mann aus –, und ich möchte flüstern: »Dreh dich um . «
Oder: »Dreh dich nicht um.«
Die Wochen, die ich damit verbracht habe, auf seinen Anruf zu warten, die Monate, in denen ich darauf gewartet habe, dass er Aileen verlässt. Die Einsamkeit dieser Zeiträume war auf ihre Weise fantastisch. Ich lebte damit und tanzte damit. Vorvorige Weihnachten, wenige Monate, bevor er damit herauskam, brachte ich es zu einer Art Vollkommenheit.
Das Haus in Terenure war bereits vier Monate auf dem Markt, und eine Flut von Menschen hatte sich durch seine Zimmer ergossen, Schränke geöffnet, Teppichböden an den Ecken angehoben, die Luft geschnuppert. Mein Wohnzimmer, das Sofa, auf dem ich saß, das Bett meiner Mutter, all das stand – und steht noch immer – im Internet, wo jeder sie anklicken und verwerfen kann: die Treppenstufen, die wir auf unseren Bäuchen hinabrutschten, das dunkle Schlafzimmer über der Garage, der Schmutzrand um den Lichtschalter. Ich fand ein Online-Meinungsforum, in dem man sich über den Preis lustig machte – aber davon abgesehen erfuhr man kaum, was die Leute wirklich dachten. Ein einziger Bieter, möglicherweise ein Kapitalanleger, machte eine Menge Aufhebens, blieb aber nicht am Ball. Ein Ehepaar mit Kindern gab ein niedriges Gebot ab und verschwand dann von der Bildfläche. Und danach kam Weihnachten. Meine Vater war nicht da, um den Tag zu ruinieren. Meine Mutter war nicht da, um alles zu retten. Meine Schwester redete nicht mit mir. Mein Liebhaber befand sich im kalten Schoß seiner Familie, eine Papierkrone auf dem Kopf.
Gestern habe ich den ganzen Tag über ihn nachgedacht: seine Tochter, die zu seinen Füßen sitzt und ihre erste E-Mail schreibt, Hallo Papa! Seine Frau, die in der Küche steht, das Haar schlaff vom Dampf des Rosenkohls. Seine elende Mutter, die funkelnden Auges um sich blickt.
Ich hatte einen lächerlichen kleinen Baum in der Wohnzimmerecke, ein Plastikding zum Einstöpseln, dessen Glasfasernadeln an den Spitzen leuchteten. Zu Mittag machte ich mir ein Sandwich und trank eine Tasse Tee. Ich erwog, aus dem Haus zu gehen, brachte es aber nicht über mich. Auf der Straße draußen herrschte Verkehr, aber alle waren auf dem Weg zueinander; selbst die Taxifahrer hatten ihre Frauen neben sich und ihre Kinder auf dem Rücksitz.
In den letzten Lebensjahren meiner Mutter gab es Zeiten, da sie nicht vor die Haustür treten konnte, und als ich mich an jenem Tag von Raum zu Raum bewegte, glaubte ich zu verstehen, weshalb. Drinnen war es
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