Anatomie einer Affäre: Roman
Farbe haben wie seine, sind unheimlicherweise nicht dieselben: Dahinter verbirgt sich ein ganz anderes Wesen. Sie schlenkert mit einem Bein, schaut sich sorglos um und erhebt gegenüber allen, die dazukommen, Anspruch auf ihren Vater. Ich sitze dabei und lächele.
Als sie das erste Mal über Nacht blieb, hielt ich mich fern, lief im Regen durch die Straßen von Galway und fuhr erst wieder nach Hause, als ich sicher sein konnte, dass sie fort wäre. Es war im September. Das Haus war seit genau einem Jahr auf dem Markt. Wenn man dem Autoradio zuhörte, war sämtliches Geld im Land einfach verdunstet, man konnte fast zusehen, wie es als Dampf von den Dächern aufstieg. Und da war es nun, dieses Kuckuckskind, und saß in meiner Küche – der Preis, den ich für die Liebe zu entrichten hatte.
Die Absurdität des Ganzen entging Seán, der, wenn es um Evie ging, vollkommen wehrlos war – und es bis heute ist. Er nimmt nur sie wahr.
Also bat ich ihn am folgenden Wochenende nicht um Erlaubnis, sondern kam um zwei Uhr einfach herein. Die beiden setzten sich gerade an den Mittagstisch.
»Hallo!«, sagte ich strahlend.
Evie ignorierte mich, aber es ist durchaus möglich, dass sie zunächst einmal jeden ignoriert.
Ihr Vater sagte: »Evie«, und mit gekränktem Blick schaute sie auf. »Du erinnerst dich doch noch an Gina.«
»Hm«, sagte sie.
Und ich ging leise umher, während sie an ihrem selbst gemachten Hamburger herumstocherte: Salatblätter und Gurke entfernte, sich darüber beschwerte, dass es keinen Ketchup gab, und Mayonnaise aufhäufte.
Seitdem kommt sie ziemlich oft. Wir begegnen uns im Vorübergehen. Ich weiche ihrer Wut aus. Ich fasse mich immer kurz. Ich bin immer nett. Ich schlafe mit ihrem Vater, während sie im Zimmer gegenüber schläft. Alle Türen stehen offen, für den Fall, dass sie im Schlaf stirbt, obwohl sie nicht im Schlaf sterben wird. Aber ich glaube nicht, dass wir uns lieben würden, wenn die Türen geschlossen wären, nicht einmal geräuschlos.
Morgens komme ich aus dem Zimmer und stelle fest, dass sie bereits im Bad ist, oder sie poltert in irgendeinem zerschlissenen Pyjama in Babypink an mir vorbei. Wann immer ich sie sehe, ist sie gewachsen – und zwar gewaltig. Es ist, als würde man jede Woche einem anderen Fremdling begegnen.
Abends höre ich, wie sie im Gästezimmer umhergehen, die Vorhänge zuziehen, sich leise unterhalten, während sie ihre Plüschtiere und Nachtleuchten und ich weiß nicht was arrangiert, bis ihr Vater – man bedenke, Evie ist fast zwölf – sich neben sie legt und sie in den Schlaf murmelt. Oft schläft er selbst dabei ein, und ich kann nicht an die Tür klopfen oder den Kopf hineinstecken, um ihn zu wecken. Es wäre zu riskant.
Also liegen sie hoffnungslos und wunschlos glücklich wie in einem Kokon, während ich dasitze und in die Röhre glotze.
Ihre Besuche begannen im September, und schon Mitte Oktober gingen den beiden die Ideen für Ausflüge und Unternehmungen aus. Und so lungern sie im Haus herum und bringen keine Entscheidungen zustande. Evie quengelt: Ich will mit meinen Freundinnen rumhängen .
Für einen Mann, der einen Tochterfimmel hat, verbringt Seán ziemlich viel Zeit damit, ihr zu sagen, dass sie sich verziehen soll. Vielleicht ist das bei allen Eltern so.
»Geh und mach was«, sagt er, wenn sie über seine Schulter auf den Bildschirm seines Laptops späht und dicht an seinem Ohr einen Apfel isst. »Was stehst du da herum?« Er schickt sie ins Geschäft, damit sie sich Süßigkeiten kauft, und dann sagt er, dass sie keine essen darf. Stattdessen schickt er sie erneut ins Geschäft, damit sie sich einen Smoothie kauft. Er sagt: »Geh spielen«, obwohl es niemanden gibt, mit dem sie spielen könnte. Er fordert sie auf, ein Buch zu lesen, obwohl er selbst nie Bücher liest; ich habe ihn noch nie mit einem Buch in der Hand gesehen. Also spielt sie Nintendo, und dann sagt er ihr, sie solle nicht so viel Nintendo spielen.
»Hör auf, Sachen anzufassen, Evie.«
Ihre Hände wollen einfach nicht stillhalten, sind dauernd auf der Suche.
Das fiel mir auf, als wir zum ersten Mal gemeinsam das Haus verließen und mit Evies neuem Hund (der Hund ist noch so eine Geschichte; damit will ich gar nicht erst anfangen) zum Bushy Park gingen. Mit den Fingerspitzen strich sie an jeder Mauer entlang, ob glatt oder rau, fasste in Hecken hinein und zupfte Blätter von den Büschen.
Es war, als ertaste sie die Umrisse ihrer Welt, als wolle sie die Stelle
Weitere Kostenlose Bücher