Anatomie
was ich herausbrachte. Sie wirbelte herum und verließ den Raum. Damit war das Treffen wohl beendet. Verlegene Blicke begleiteten mich, als ich hinausging, einige nickten auch, aber mehr nicht. Morgan brachte mich schweigend an der Empfangsdame in ihrem Glaskasten vorbei zum Aufzug, und drehte ohne ein Wort ab.
Unten in der Lobby schenkte Officer Shipley mir ein Lächeln und winkte, als ich aus dem Aufzug trat. »Hey, Doc, kennen Sie den, wie das CIA mit mehreren Leuten Bewerbungsgespräche für einen Job als Attentäter führt?« Ich hielt die Hand hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen, senkte den Kopf und verließ das Federal Building, so schnell mich meine Schritte trugen.
30
Allein beim Anblick der Cave Springs Primitive Baptist Church lief es mir eiskalt über den Rücken. Selbst von dem Mörtel zwischen den Steinen schien etwas Bedrohliches auszugehen.
Ich fuhr mit dem Pick-up in weitem Bogen auf den Parkplatz, sodass ich einen Blick auf den Eingang der Höhle erhaschen konnte. Das schwere Eisengitter war noch an seinem Platz – gesichert mit einem schimmernden neuen Vorhängeschloss, was mir seltsam vorkam, denn durch den Einsturz war der Tunnel doch sowieso unzugänglich. Obwohl es Mittag war, schaltete ich die Scheinwerfer ein und machte das Fernlicht an. In der dunklen Öffnung fiel das Licht auf die Ränder des Schutthaufens, der Art und mich beinahe lebendig unter sich begraben hatte.
Ich fuhr wieder zurück auf die andere Seite des Parkplatzes und parkte in der Nähe des Hauses, das an die Kirche angrenzte. Art und ich hatten vermutet, dass es das Pfarrhaus war, wo der Reverend und seine Frau lebten. Die meisten Priester in Knoxville lebten heutzutage kilometerweit von ihren Kirchen weg in besseren Vororten, wo sie sich unauffällig unter Ärzte, Anwälte und Steuerberater mischten, doch ich hatte den Verdacht, dass Cave Springs mehr mit dem Knoxville des neunzehnten Jahrhunderts gemein hatte als mit dem Knoxville des einundzwanzigsten Jahrhunderts und dass der Pastor – »Hirte« bedeutete das Wort ursprünglich – hier noch nah bei seiner Herde weilte. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Reverend oder Mrs. Kitchings zu Hause antreffen würde. Wenn nicht, hatte ich die lange Fahrt umsonst gemacht, aber es war mir zu riskant erschienen, vorher anzurufen und – dem Paar oder ihren reizbaren Söhnen – mein Kommen anzukündigen.
Das Haus, ein einfaches Bauernhaus in Holzbauweise aus den 1920er Jahren, erinnerte mich an das Haus meiner Großeltern. Eine breite überdachte Veranda zog sich über die ganze Vorderseite des Gebäudes. Die Dachschräge wurde da flacher, wo das Wellblech über die Veranda ging. Ein hervorgebautes Dachfenster durchbrach die Dachlinie darüber und ließ Licht in ein oberes Schlafzimmer oder, wie im Haus meiner Großeltern, einen Speicher, der vollgestellt war mit verstaubten Möbeln und verblassten Andenken. Ich überlegte, ob einige dieser Andenken wohl Leena gehört hatten.
Die Holztreppe war einst grau gewesen, doch inzwischen war die Farbe – da, wo noch Farbe war – so weit verwittert, dass sie nur noch an trübes, dreckiges Putzwasser erinnerte. Die Enden der Bodendielen der Veranda ragten zwei oder drei Zentimeter über den Querbalken, von dem sie getragen wurden. Auch sie waren ziemlich verwittert und reckten und krümmten sich in sämtliche Richtungen, wodurch die Veranda ein wenig so aussah wie ein Mund voller schiefer Zähne.
Zwei Schaukelstühle – ein hoher mit breiten Querhölzern an der Rückenlehne und ein niedrigerer mit gedrechselten senkrechten Stäben am Rücken – flankierten die Haustür. Die Kufen des hohen Stuhls waren abgenutzt und an den Enden stumpf, was auf jahrelanges energisches Schaukeln schließen ließ. Die Kufen des anderen Stuhls hingegen waren in der Mitte fast flachgewetzt.
Die Fliegengittertür stand leicht offen, sie hatte sich im Laufe der Jahre gesetzt, sodass sie über den Boden schleifte und einen blassen, farblosen Viertelkreis gezeichnet hatte, der Jahrzehnte des Kommens und Gehens markierte. Ich malte mir einige davon aus: Die Familie, die jeden Sonntag zur Kirche eilte, Tom und Orbin, zuerst als Kleinkinder, dann als lärmende Jungen, dann als grämliche Teenager. Eine Prozession sorgenvoller Gemeindemitglieder – ehebrecherische Ehegatten und gekränkte Betrogene, Problemtrinker, straffällige Jugendliche. Und dann die fröhliche Festtagsparade aus Braten, Eintöpfen, Schmortöpfen, Kuchen und Pasteten – so
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