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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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pinkeln.«
    »Wir sind nah an der Stadt … kann das nicht warten?«
    »Nein, Sir, ich glaube nicht. Ich habe in der Cafeteria jede Menge Eistee getrunken, während Sie Ihre Vorlesung gehalten haben; zu viel, schätze ich. Es tut mir leid. Sie bleiben einfach hier sitzen, ich bin in einer Minute wieder da.«
    Und damit war er verschwunden.
    Er kam weder in einer noch in zwei noch in drei Minuten zurück. Um mir die Zeit zu vertreiben, holte ich einen kleinen Notizblock aus der Jackentasche und machte mich dran, ein paar Stichworte für ein Empfehlungsschreiben aufzulisten, um das mich eine ehemalige Studentin gebeten hatte. Endlich ging die Tür auf. »Ich wollte schon einen Suchtrupp aussenden«, sagte ich, den Blick noch auf meine Notizen gerichtet. »Sie müssen ja beim Mittagessen wirklich einige Maß getrunken haben, Deputy.« Doch es war nicht der Deputy, der sich vorbeugte und mich durch die offene Tür anschaute. Es war ein Bär von einem Mann, gekleidet in einen Tarnoverall mit Baumrindenmuster, wie sie Jäger gerne tragen, vollständig mit Tarnkappe.
    »Dr. Brockton, das hier tut mir wirklich leid, aber wir haben eine kleine Planänderung. Ich heiße Waylon. Also, ich tue Ihnen nichts. Wie wäre es, wenn Sie rüberrutschen und sich hinters Steuer klemmen und uns dann wieder auf die Straße bringen? Sie fahren ein Stück Richtung Stadt, und wenn ich es Ihnen sage, biegen Sie ab.«
    »Wo ist Deputy Williams?«
    »Leon? Dem geht’s gut, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Er ist im Augenblick nur hübsch … verschnürt, könnte man sagen.« Der gewaltige Kerl schenkte mir entweder ein Grinsen oder eine Grimasse.
    Ich setzte mich auf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, was hier vor sich geht?«
    »Jemand muss mit Ihnen reden. Unter vier Augen. Es dauert wahrscheinlich keine halbe Stunde, dann bringen wir Sie zurück in die Stadt, und Sie können Ihren Geschäften mit dem Sheriff nachgehen.«
    Ich musterte Waylon. Er war mindestens fünfzig Kilo schwerer als ich, und vermutlich steckte irgendwo in seinem Tarnanzug eine Pistole. Vielleicht auch ein Jagdmesser. »Und wenn ich mich weigere?«
    Er seufzte. »Schauen Sie, Doc, es ist nicht nötig, dass wir Probleme miteinander kriegen. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Ihnen kein Haar krümmen werde, aber wenn’s sein muss, werde ich Sie an Händen und Füßen fesseln. Abgesehen davon wollen Sie mit dem Kerl reden, zu dem ich Sie bringe. Ich wette, er kann Ihnen helfen rauszufinden, wen Sie da neulich aus der Höhle geschleift haben.«
    Nachrichten verbreiteten sich schnell in einer Kleinstadt. Ich warf den Motor an und legte einen Gang ein. »Sie sagen mir, wohin ich fahren muss.«
    Er grinste, wobei er ein arg dezimiertes, löchriges und kautabakfleckiges Gebiss entblößte. »Das lässt sich doch hören. Sobald Sie die nächste Brücke überquert haben, nehmen Sie die Erste rechts. Schotter.« Wir fuhren gut anderthalb Kilometer, während derer ich ein halbes Dutzend Fluchtpläne ersann und sämtlich wieder verwarf – und nicht nur, weil ich dem Kerl hoffnungslos unterlegen war. Ich verwarf sie, weil dieser schlichte Bergmensch klugerweise den einen Knopf gedrückt hatte – wenn man von eventuellen Drohungen gegenüber meiner Familie absah –, der ihm meine volle Kooperation garantierte: Er lockte mich mit der Aussicht auf eine forensische Enthüllung.
    Wir holperten auf eine neue Betonbrücke – offensichtlich Ersatz für eine Vorgängerin, die bei einer der Fluten, die die Gebirgstäler häufig heimsuchten, fortgeschwemmt worden war – und auf der anderen Seite wieder hinunter. »Am besten gehen Sie ein bisschen vom Gas – man verpasst es leicht. Gleich da drüben … sehen Sie?«
    Ich sah es, gerade so: Zwei riesige Schierlingstannen beugten sich von rechts über den Weg, als bildeten sie ein prächtiges Tor, und zwischen ihnen bog ein Schotterweg ab, der in den Tiefen des Waldes verschwand.
    Der Schein trog: Die Straße war unauffällig, aber gut in Schuss, ohne Furchen oder Schlammlöcher, die die meisten Schotterstraßen im Gebirge zu einer Qual machten. Die Great Smoky Mountains galten als Zone gemäßigten Regenwalds mit bis zu zwei Metern Niederschlägen pro Jahr, und so war es selten, dass in einer Gebirgsstraße nicht wenigstens ein paar Suhlen oder ausgewaschene Stellen waren. Diese Straße hier war fest und trocken und überall da, wo Feuchtigkeit ein Problem darstellen konnte, mit Gräben und Abzugskanälen drainiert. Auch

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