Anatomie
wir doch das Motiv, meine Herren. GI Jim kommt nach Hause, findet raus, dass seine Süße ›been taking her love to town‹ … und dass sie sich dabei ein Kind machen ließ … und flippt aus. Könnte schwer werden, einen vorsätzlichen Mord nachzuweisen, aber für eine Anklage wegen Totschlags sollte es reichen.«
»Ich glaube nicht, dass er es war«, sagte ich.
Der Sheriff drückte sich vom Aktenschrank weg, bis er aufrecht stand, und beugte sich dann, beide Hände flach auf den Schreibtisch gestützt, zu mir vor. »Nehmen Sie’s nicht persönlich, Doc, aber ich geb ’nen Scheiß drauf, was Sie denken. Sie mögen ja vielleicht ein guter Knochendetektiv sein, aber hier sind Sie ein Außenstehender. Sie haben keinen blassen Schimmer von Cooke County oder Jim O’Conner und wessen er womöglich fähig ist oder nicht. Ich besorge mir einen Haftbefehl für ihn. Und ich besorge mir auch eine richterliche Anordnung zur Vorlage dieser Knochen. Und werde es sehr persönlich nehmen, wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie sich in diesen Fall einmischen.«
Ich fand, das war ein guter Zeitpunkt, den Abgang zu machen. Ich sah Art an, der meiner Meinung zu sein schien, denn er wies mit dem Kopf in Richtung Tür. »Sheriff«, sagte ich, während ich mich rückwärts aus dem Büro bewegte, »ich werde Ausschau halten nach dieser Anordnung. Orbin, hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen. Einen schönen Tag noch.«
»Denken Sie daran«, sagte Art, »wir haben ein Auge auf dem Rückspiegel und eine Hand am Funkgerät.«
Als wir aus dem Gerichtsgebäude liefen, sagte Art: »Hol den Pick-up, fahr hinten rum und sammel mich da auf.« Ich wollte ihn fragen, warum, aber er schnitt mir das Wort ab. »Tu’s einfach. Ich erklär’s dir später.«
Die Reifen quietschten, als ich rückwärts aus der Parklücke setzte. Sie quietschten wieder, als ich den Gang einlegte und anfuhr, und noch einmal, als ich den Wagen mit Schwung um die Ecke zum Parkplatz hinter dem Gebäude lenkte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass die zwei Veteranen aufgehört hatten zu schnitzen und mit weit offenen, fast zahnlosen Mündern hinter mir herstarrten.
Ich fuhr auf den Platz und sah Art an der Tür des Hubschraubers. Als ich neben ihm zum Stehen kam, steckte er eine kleine Flasche in die Tasche, dann sprang er in den Wagen. »Was hast du gemacht?«
»Oh, nichts«, sagte er. »Hab uns nur ein bisschen Zeit herausgeschunden.« Er holte die Flasche wieder aus der Tasche, um sie mir zu zeigen: Sekundenkleber.
»Du hast die Türschlösser mit Sekundenkleber verklebt?« Er grinste stolz. »Die Autos? Den Hubschrauber?« Er nickte glücklich. »Die werden stocksauer sein.«
»Etwa noch saurer als da drin, als sie uns erschießen wollten?« Wo er recht hatte …
Trotz Arts Kriegslist vergeudete ich keine Zeit, aus der Stadt zu kommen. Auf der kurvenreichen Straße am Fluss entlang schaute ich so oft ich konnte, ohne über die Böschung zu schießen oder reisekrank zu werden, in den Rückspiegel. »Du holst besser das Funkgerät raus«, sagte ich zu Art, »nur für den Fall.«
»Was für ein Funkgerät?«
»Das Funkgerät, mit dem du Hilfe herbeirufen wolltest.« Ich sah ihn an, aber er schüttelte den Kopf und hielt die leeren Hände hoch. »Und was hast du dann den Mund so voll genommen von wegen FBI und Kriminalpolizei anzufunken, wenn sie uns folgen würden?«
»Das, mein Freund, nennt man einen Bluff. Einen erfolgreichen Bluff, um genau zu sein.« Ich war nicht auch nur annähernd so entzückt über seine Gewieftheit wie er selbst. »Hey, was hätte ich denn sagen sollen?«, verteidigte er sich. »›Oh, bitte, kommt nicht hinter uns her, denn dann sind wir geliefert‹? Ich bin froh, dass du in dem Augenblick nicht das Gespräch geführt hast.« Und wieder: Wo er recht hatte …
Wir fuhren eine Weile in nervösem Schweigen, bis wir auf die I-40 kamen und die Leitpfosten mit hundertsechzig Stundenkilometern vorbeiflogen. Zum ersten Mal im Leben wünschte ich mir, von einem Verkehrspolizisten auf den Seitenstreifen gewunken zu werden. »Art, ich bin hier auf unbekanntem Gebiet«, sagte ich. »Ich hatte noch nie einen Fall, wo ich die Bösen nicht von den Guten unterscheiden konnte.«
Er nickte. »Ich weiß noch, wie mir das zum ersten Mal passiert ist. Ich war noch ziemlich neu bei der Mordkommission, als im Osten von Knoxville ein Drogendealer erschossen wurde. Von einem rivalisierenden Dealer erschossen, wie der Drogenfahnder mir erzählte.
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