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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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Kilometer weit weg, aber Welten entfernt von dem von Bäumen gesäumten Sanktuarium der Sequoyah Hills. Er und seine Frau hatten gerade ein ausladendes neues Haus in Farragut gekauft, einer boomenden Vorstadt ganz im Westen am Kingston Pike. Mit einem Anthropologen als Vater und einer Sozialwissenschaftlerin als Mutter hatte er vermutlich für den Rest seines Lebens genügend Erfahrungen im Elfenbeinturm gemacht, denn Jeff hatte an der University of Tennessee einen Magisterabschluss in BWL gemacht, schnell sein CPA-Examen abgelegt und in weniger als zehn Jahren ein erfolgreiches Steuerberater-Büro aufgebaut. Seine beiden Jungen, fünf und sieben Jahre alt, spielten bereits in einer Fußballliga, und Jeffs Frau Jenny kam bestens mit den anderen wohlhabenden Fußballmuttis in Farragut zurecht. Mit zweiunddreißig war mein Sohn erfolgreich und glücklich. Und ich konnte es kaum ertragen, mit ihm zu reden.
    »Hi, Jeff, ich muss mich kurz fassen … ich bin schon fast zu spät zur Vorlesung.«
    »Es ist Samstag, Dad. Werden jetzt an der University of Tennessee schon Vorlesungen auf den Samstag gelegt?«
    »Ich meinte nicht Vorlesung. Ich meine eine Exhumierung. Ich muss eine Leiche exhumieren.«
    »Geht es dir gut? Du klingst … seltsam.«
    »Mir geht es gut.«
    »Hör mal, ich wollte dir nur sagen, dass ich heute an dich denke.« Ich wünschte, das hätte er nicht gesagt. »Wie geht es dir … wirklich? Sag nicht einfach ›gut‹, denn so besonders ehrlich klingt das nicht.«
    »Na, wieso bloß? Ach, jetzt weiß ich es wieder … meine Frau ist heute vor zwei Jahren gestorben.«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Augenblick Schweigen. »Ich weiß, Dad. Meine Mutter auch.«
    »Na, du scheinst ja gut darüber hinweggekommen zu sein.« Mein Tonfall war schärfer als beabsichtigt.
    »Was soll das denn heißen? Ist das etwa ein Vorwurf?«
    »Nein. Nur eine Beobachtung. Du scheinst nicht besonders zu trauern.«
    Ich hörte ihn tief Luft holen, dann atmete er lange und angestrengt aus. »Da liegst du gewaltig daneben. Ich habe Mom geliebt. Und als sie starb, hat das wehgetan wie Hölle; und manchmal tut es das auch heute noch. Aber weißt du was, Dad? Ich habe viel geweint, und dann habe ich mich der Tatsache gestellt, dass sie gestorben ist, und bin zu dem Schluss gekommen, mein Leben weiterzuleben. Du dagegen scheinst wild entschlossen zu sein, dich in deiner Trauer zu suhlen – du trägst sie wie ein Kreuz, du trägst sie wie eine Dornenkrone, wie selbst auferlegte Stigmata. Und jeder, der nicht mit dir zu Boden geht und sich mit dir suhlt, dessen Trauer ist in deinen Augen nicht groß genug, und folglich war es auch seine Liebe zu ihr nicht. Und wenn du das tust, Dad, dann entfremdest du dich von den Menschen, die dich lieben und dir nur das Beste wünschen und wollen, dass du wieder glücklich bist.«
    »Ich werde wieder glücklich sein, wenn die Zeit kommt.«
    »Nein, wirst du nicht. Denn du wehrst dich dagegen. Das scheint so eine Art perverser Herausforderung für dich zu sein … zu sehen, wie lange du dein Elend und deine Einsamkeit schröpfen kannst.«
    »Und dieses Gespräch soll mich gut draufbringen?«
    »Ich habe nicht damit angefangen. Komm schon, Dad, gib’s zu – du versteckst dich vor dem Leben. Du vergräbst dich in deiner Arbeit, und du versinkst in deiner Trauer. Und das ist alles, was du überhaupt noch tust.«
    »Meine Arbeit ist sehr anspruchsvoll.«
    »So anspruchsvoll, dass du keine Zeit hast, mal anzurufen oder deinen Sohn und deine Enkelkinder zu besuchen? So anspruchsvoll, dass du keine Zeit hast, abends mal zum Essen auszugehen? Wann warst du das letzte Mal mit einer Frau zum Essen aus? Oder mit einem Mann? Mit mir zum Beispiel?«
    »Es ist schwer, dich zu sehen. Es tut weh.«
    »Und warum, Dad?«
    Wenn ich es mit der Wahrheit gehalten hätte, hätte ich zu meinem Sohn gesagt: »Weil ich uns beiden die Schuld an ihrem Tod gebe. Ich gebe mir die Schuld, und ich gebe dir die Schuld, weil deine Geburt so schwer war.« Aber ich sagte ihm die Wahrheit nicht – ich konnte sie ihm nicht sagen –, sondern meinte nur: »Du erinnerst mich zu sehr an sie.«
    »Warum kannst du daraus keinen Trost schöpfen – aus der Tatsache, dass ein Teil von ihr in mir fortlebt?« Ich versuchte erst gar nicht, ihm darauf eine Antwort zu geben. »Zum Teufel, ich vermisse meinen Vater, und meine Söhne vermissen ihren Großvater. Mom ist gestorben, und das ist wirklich schlimm. Sie war nicht meine Frau,

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