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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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Schenkel waren von Eisen, seine Füße waren teils von Eisen und teils von Ton.“ Die Körperteile verlieren nach unten hin an Wert. Die tönernen Füße sind der Erde recht schutzlos ausgeliefert – sie sind eine Metapher für den zerbrechlichen Zustand von Nebukadnezars Reich, die auch heute noch in Verbindung mit halbseidenen, unsoliden Angelegenheiten benutzt wird.
    Ein weiterer „König der Könige“ steht im Mittelpunkt von Percy Shelleys berühmtem Gedicht Ozymandias , das von dem gigantischen Grabmal Ramses’ II. inspiriert ist. Der Pharao im Gedichttitel herrschte 700 Jahre vor Nebukadnezar, im 13. vorchristlichen Jahrhundert. Auch das Gedicht ist eine Traumvision. Shelley stützte sich auf die Arbeiten eines griechischen Geschichtsschreibers, derdas Grab im 1.

Jahrhundert v. Chr. schon als Ruine vor sich hatte. Als Shelley 1817 seine Zeilen schrieb, war längst nichts mehr davon übrig. Shelleys anonymer Erzähler berichtet von den Beschreibungen eines Reisenden aus klassischen Ländern, der eine verfallene Statue in Theben gesehen habe, von der nur zwei große, steinerne Beine ohne Rumpf übrig seien. Das Gedicht entstand im Rahmen eines kleinen Wettstreits mit Shelleys Freund Horace Smith, in dessen Werk von dem Grabmal nur noch ein Bein übrig ist:

    In Ägyptens stillem Sand steht ganz allein
    und wirft das längste Schattendunkel, das
    die Wüste kennt, ein riesenhaftes Bein:
    „Ich bin der große Ozymandias“,
    steht da, „Der höchste König. Diese Stadt
    zeigt stolz, was meine Hand geschaffen hat.“
    Die Stadt versank. Dies eine, letzte Glied
    Ist alles, was von Babylon noch blieb.
    Wer sehen will, wie viel Kraft selbst ein übrig gebliebener, einzelner Fuß ausstrahlen kann, sollte in die Kapitolinischen Museen in Rom gehen. Dort befinden sich die Überreste des Denkmals für einen anderen großen Herrscher, den römischen Kaiser Konstantin. Die 1487 aufgefundene sogenannte Kolossalstatue Konstantins des Großen stand einst in einer Basilika auf dem Forum und maß stolze 12 Meter. Heute übrig sind nur noch der Kopf, der rechte Arm, zwei rechte Hände (angeblich wurde die Statue einmal überarbeitet, und die neuere Hand hielt ein christliches Symbol), die beiden Kniescheiben, Teile des Schienbeins sowie die Füße, die so riesig sind, dass man mit beiden Armen gerade mal den großen Zeh umgreifen kann. Der Grund dafür, dass nur die Gliedmaßen übrig sind, ist, dass diese aus Marmor und nicht, wie der Rest des Standbildes, aus Backsteinen bestehen. Die Zeit erinnert uns daran, welche Teile uns zum Menschen machen.

Haut
    Vielleicht schon im 15.

Jahrhundert gelangte eine Rosenart von der Krim nach Frankreich, die man dort „Cuisse de Nymphe“ nannte – Nymphenschenkel. Die Farbe der Blume verband einen Hauch von Rosa mit einem Anflug von Lila. 1835 taufte der Winzer Laurent-Perrier einen neuen Rosé-Champagner auf denselben Namen. In Großbritannien sorgte die viktorianische Prüderie dafür, dass die Rose als „Great Maiden’s Blush“ bekannt wurde, als „Mädchenerröten“. In Frankreich unterlag die Namensgebung keinerlei Beschränkungen, daher konnte eine neue, dunklere Variante der Rose „Cuisse de Nymphe Émue“ heißen – Schenkel einer erregten Nymphe. Sie war die Lieblingsblume der Schriftstellerin Colette, die sie in ihrem quasi-autobiografischen Roman Sido kurz erwähnt. Auf Englisch heißt die Farbe „Hot pink“, nicht gerade eine Meisterleistung der Übersetzerzunft. Aber die Bezeichnung fand bald auch auf anderes Anwendung. Unter den vielen synthetischen Farben, die Künstlern ab Mitte des 19.

Jahrhunderts zur Verfügung standen und die meist nach Schlachten der jüngsten Vergangenheit benannt wurden (Magenta, Solferino etc.), war auch „cuisse de nymphe émue“, nur blieb unklar, welchen Farbton sie genau bezeichnete, offenbar konnte sie „alles zwischen Rosa und Lila und Gelb“ umfassen.
    Fleisch war schon immer besonders schwer zu malen. Seine Farbe findet sich in keiner Tube, nicht zuletzt weil jede Haut ihren eigenen Teint besitzt, sie ergibt sich vielmehr aus der geschickten Mischung der vier klassischen Grundfarben, die schon der Grieche Apelles schätzte: Rot, Gelb, Schwarz und Weiß. Diese Farben entsprachen nach damaliger Vorstellung den vier Elementen und folglich auch den vier Säften. Je nach Mischungsverhältnis waren sie für jede Hautfarbe zu gebrauchen, vom blassen Baby bis zum gebräunten Matrosen, vom angeheiterten Trunkenbold

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