Anatomien
Geschwindigkeit. Was mir auffällt, ist eher die frische Luft, die freie Bewegung in der Stadt – näher ans Fliegen kommen die meisten von uns nie.
Wie geht es uns im gelobten Land der (biologischen, technologischen, psychologischen, chemischen) Selbstverwandlung mit all den Erweiterungen unserer körperlichen Möglichkeiten? Sollte jede Erweiterung als künstlich erkennbar sein, oder sollte sie mit dem Körper zu einem neuen Organismus verschmelzen? Bevor wir uns entscheiden, sollten wir uns daran erinnern, dass die Grenzen gar nicht so klar gezogen sind. Ein Bioethiker stellte ganz sachlich fest, dass selbst diejenigen, die um die Integrität unseres natürlichen Selbst fürchteten, „Brillen tragen, sich Insulin spritzen und künstliche Hüftgelenke haben“.
Die uns vertrautesten Wesen, die fliegen können und ewig leben, sind Engel. In meiner Heimatgegend East Anglia stecken sie dutzendweise an den Kirchendächern wie Schmetterlinge in einer Sammlung. Ihre Seinsweise bleibt uns verschlossen, und doch sehnen wir uns nach ihr. Der Zwiespalt zeigt sich in der Art und Weise, wie die Flügel am Körper angebracht sind. Rein anatomisch gesehen macht sie keinen Sinn. Die Flügel gehen normalerweise aus den Schulterblättern hervor (vielleicht haben deren Fortsätze frühe Künstler vermuten lassen, dass hier etwas Vogelhaftes fehlt), dochsieht man nie etwas von den starken Muskeln, die für die Bewegung nötig wären. Wir verbildlichen die Vorstellung des Fliegens, aber nicht die realistische Möglichkeit.
Künstler zeigen uns nur selten fliegende Engel. In der Bibel ist nur einmal kurz davon die Rede (während Daniel betet, „flog der Mann Gabriel“ dicht an ihn heran), und davon, dass Engel Flügel brauchen, sagt die Bibel gar nichts. Maler und Bildhauer schauen sich die Flügel bei Vögeln ab und vergrößern sie einfach. So, wie es dargestellt wird, könnte das allerdings nicht funktionieren, denn die Künstler vergrößern nicht, wie es physiologisch nötig wäre, zugleich auch Knochen und Muskeln. Flügel sind einfach Symbole göttlicher Macht. Der christliche Schriftsteller C.
S. Lewis schrieb: „Teufel haben auf Bildern Fledermausflügel, Engel haben Vogelflügel, nicht weil irgendjemand annehmen würde, dass moralischer Verfall Flügel in Haut verwandelt, sondern weil die meisten Menschen Vögel lieber haben als Fledermäuse. Wir schreiben ihnen überhaupt nur deshalb Flügel zu, weil wir die unbehinderte Bewegung geistiger Energie verdeutlichen wollen. Wir schreiben ihnen menschliche Form zu, weil der Mensch das einzige vernunftbegabte Wesen ist, das wir kennen.“
Während Engel mit übermenschlichen Fähigkeiten begabte Wesen in Menschengestalt sind, handelt es sich bei Robotern um technologische Apparate mit menschlichen Fähigkeiten. Sie sollen Aufgaben erfüllen, um die wir uns gern drücken. Um menschliche Aufgaben zu erfüllen, bedarf es aber keiner menschlichen Gestalt. Umso überraschender ist es, dass die Robotik-Gemeinde heute mehr denn je danach strebt, Roboter nicht nur mit menschlichen Fähigkeiten auszustatten, sondern sie auch wie Menschen aussehen zu lassen. Da gibt es zum Beispiel ein Projekt zur Entwicklung von Robotern, die Rollstühle schieben sollen – eine fragwürdige Sache. Wäre es nicht besser, „intelligente“ Rollstühle zu entwickeln, statt einen normalen Rollstuhl von einem Wesen schieben zu lassen, das wie ein Mensch aussieht? Die Roboter in Karel Čapeks R.
U.
R. sehen übrigens wie Menschen aus, aber nur weil ihr Schöpfer völlighumorlos war. Wir geben Engeln wie Robotern unsere eigene Gestalt, weil sie unserer simplen Meinung nach die menschlichen Hoffnungen so am besten verkörpern.
Heute finden wir Roboter noch amüsant, weil sie uns so unvollkommen nachahmen. Wenn es nach den Robotikern geht, werden die Modelle der Zukunft so menschlich sein, dass uns das Lachen vergeht. Als „Unheimliches Tal“ bezeichnet man den Ort, an dem wir Menschen es gruselig finden, dass etwas Nichtmenschliches beinahe so aussieht wie wir. Das „Tal“ ist eigentlich ein Tiefpunkt auf einem Schaubild, das auf der senkrechten Achse die menschliche Begeisterung für Roboter und auf der waagerechten deren Menschenähnlichkeit misst. Die Linie setzt weit oben an, weil wir Roboter lieben, wenn sie ganz klar wie Maschinen aussehen. Doch ganz kurz vor dem Moment, in dem sie von Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind, geht es mit der Linie auf dem Schaubild abwärts –
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