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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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mit. Seit Gray und seinem einen Künstler hat sich viel getan. Aus Grays Anatomy ist Gray’s Anatomy geworden.
    Unser Rundgang durch die Wissenschaft der Anatomie begann mit der Frage, inwiefern die Organe getrennt voneinander existieren. Schon vor fast 400 Jahren schrieb Helkiah Crooke in seiner Micro cosmographia: „Dass man wichtige und weniger wichtige Teile voneinander unterscheiden kann, ist seit Langem bekannt.“ Zu den wichtigen Teilen gehörten das Herz, die Leber und das Gehirn. Galen hatte aufgrund ihrer Wichtigkeit für die Fortpflanzung auch die Hoden dazugezählt, aber Crooke stufte sie nicht so hoch ein, weil sie nicht überlebenswichtig sind.
    Ist es sinnvoll, den Körper so zu betrachten? Ich habe Körperteile, aber ich kann keinen Teil abtrennen, ohne dass ich Blut verliere. Können wir die Teile wirklich, so wie Darwin die Tierarten, als „einigermaßen gut definierte Objekte“ betrachten? Sagt uns diese Einteilung etwas über den Körper oder nicht doch mehr über die Einstellung der Anatomen, die ihn untersuchen?
    Vor allem an einem Körperteil wird deutlich, dass die menschliche Anatomie auch heute noch nicht vollständig dokumentiert ist. Die Klitoris scheint im Laufe der 2000-jährigen Medizingeschichte beschrieben, verloren, wiedergefunden, wieder verloren und aufs Neue wiedergefunden worden zu sein.
    Hätte es mehr weibliche Anatomen gegeben, wäre es vielleicht anders gekommen. Einige gab es schon, vor allem in Italien, wo die Universitäten auch wichtige Posten an Frauen vergaben. Im 18.

Jahrhundert folgte Anna Morandi ihrem Mann auf den anatomischen Lehrstuhl der Universität Bologna nach. Ihre schönen anatomischen Wachsmodelle gelangten ebenso in den Besitz von Katharina der Großen wie die Modelle ihrer französischen Zeitgenossin Marie Marguerite Bihéron, der Londoner Lehrerin von John Hunter. Ein Jahrhundert später studierte Marie-Geneviève-Charlotte Thiroux d’Arconville in Paris Anatomie und übersetzte ein osteologisches Lehrbuch von Alexander Monro, dem Urvater einer Dynastie schottischer Anatomen. Sie überwachte auch die Anfertigung der Illustrationen, war aber bei der Veröffentlichung auf Anonymität bedacht. Auf ihre Veranlassung hin wurde ein weibliches Skelett aufgenommen, was längst nicht üblich war, allerdings verhinderte sie nicht, dass dessen Aussehen entschieden kulturalisiert wurde. D’Arconvilles Illustration zeigt ein breiteres Becken, aber einen relativ kleinen Kopf und einen spitz zulaufenden Brustkorb, in dem sich das zeitgenössische Ideal weiblicher Formen ungebührlich deutlich ausdrückt. Vielleicht stand eine Frau Modell, die ihre Jugendjahre im Korsett verbracht hatte. Das Knochengerüst der d’Arconville entwickelte sich landauf, landab zum Pin-up-Bild männlicher Osteologen.
    Die Griechen kannten die Klitoris und betrachteten sie entweder als eine unvollkommene Version des männlichen Gliedes oder in gewagter Analogie zu Gaumenzäpfchen und Kehle als Wächterin am Eingang der Gebärmutter. Diese Interpretation ging im Lauf der Übersetzungen medizinischer Fachliteratur aus dem Griechischen ins Arabische und aus dem Arabischen ins Lateinische während der Spätantike und des Mittelalters verloren. Falloppio entdeckte die Klitoris als eigenständigen Körperteil im 16.

Jahrhundert wieder, und sein Rivale Colombo war der Erste, der etwas über sie veröffentlichte, wobei er eigene Beobachtungen über ihre Rolle bei der Erregung sexuellen Vergnügens hinzufügte. Vesalius ließ das kalt. Er forderte Falloppio heraus: „Du wirst doch zugeben, dass gesunde Frauen diesen neuen und nutzlosen Teil, im Unterschied zu den Organen, nicht besitzen.“ Seiner Meinung nach war die Klitoris eine nur an „weiblichen Hermaphroditen“ zu beobachtende Fehlbildung.
    Im 19.

Jahrhundert verschwand die Klitoris noch einmal aus vielen anatomischen Büchern. In einigen amerikanischen Gray-Ausgaben fehlen die Beschriftungen. Mit der weiblichen Sexualität hatte es die männliche Gesellschaft eben schwer. Die australische Urologin Helen O’Connell hat Last’s Anatomy als größten Übeltäter identifiziert, ein heute bei fleißigen Medizinstudenten beliebtes Lehrbuch. Andere medizinische Lehrbücher bezeichnen sie verschämt als „das weibliche Gegenstück zum Penis“ und bieten selten mehr als eine Abbildung der äußeren Erscheinung. Wenn es überhaupt einen Schnitt gibt, zeigt er meist die Körpermitte von hinten nach vorne. Die in der Mitte

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