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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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Kochen Sie die Haut, bis sie auf etwa ein Drittel ihrer ursprünglichen Größe eingelaufen ist. Kratzen Sie das Fleisch ab, das sich eventuell noch auf der Innenseite befindet. Härten Sie die Haut aus, indem Sie den Kopf mehrmals mit heißen Kieselsteinen füllen. Dadurch wird sie trocken und behält zugleich ihre Form und andere charakteristische Merkmale bei. Hängen Sie den Schrumpfkopf dann an Fäden auf, beschimpfen Sie ihn, und bevor er antworten kann, verschließen Sie ihm mit Holzklammern den Mund.
    Dieses Ritual dauert lange und wird nach der Rückkehr vomSchlachtfeld in mehreren Stufen absolviert. Jede Stufe bedeutet etwas, und der Vorgang als solcher war wichtiger als das Produkt. Das Pitt Rivers besitzt auch einige Schrumpfköpfe, die es für Fälschungen hält, weil sie bestimmte Unregelmäßigkeiten aufweisen. Mit Schrecken erfahre ich, dass die Bewohner der Region heute mithilfe von Tierleder Köpfe für Touristen herstellen.
    Wie der Kopf für den ganzen Menschen stehen kann, so steht manchmal die Nase für den Kopf. Denken wir an die rote Clownsnase. Die Nase ist nicht das wichtigste Merkmal des Gesichts, aber ohne Frage das prägnanteste: Wir besitzen nur eine, sie sitzt in der Mitte des Gesichts und ragt daraus hervor. Die Nase macht auf sich aufmerksam und ist daher vielen Menschen unangenehm. Von der britischen Vereinigung der Schönheitschirurgen vorgelegte Statistiken belegen, dass mehr operative Eingriffe an der Nase vorgenommen werden als an allen anderen Teilen des Gesichts. (Mit weitem Abstand folgen bei Männern die Ohren und bei Frauen die Augenbrauen.)
    Nikolai Gogols wunderbar komische Kurzgeschichte Die Nase erschien 1836 und handelt von den Verwirrungen, zu denen es kommt, wenn eine Nase zur Person wird. Der Barbier Iwan Jakowlewitsch findet eines Morgens in Sankt Petersburg in seinem Frühstücksbrötchen eine Nase, die dem Kollegienassessor Kowaljow gehört, den er zweimal pro Woche rasiert. Zeitgleich erkennt Kowaljow, dass dort nur glatte Haut ist, wo zuvor „eine ganz passable, durchschnittliche Nase“ war. Während seiner morgendlichen Verrichtungen hält er sich ein Taschentuch vors Gesicht und überlegt, was zu tun ist, bis ihm ein „Herr in Uniform“ begegnet, der kein anderer ist als seine eigene Nase. Als Kollegienassessor entspricht Kowaljows Rang dem eines Majors in der Armee. Und die Nase? Tressen und Kokarden weisen sie als Staatsrat aus. Kowaljow fasst sich ein Herz und konfrontiert die Nase: „Sie sind doch schließlich meine eigene Nase“, echauffiert er sich. Aber die Nase widerspricht: „Sie irren sich, geehrter Herr. Ich bin für mich selbst.“ Sie willnichts mit ihrem früheren Besitzer zu tun haben, der einen gesellschaftlich niedrigeren Rang einnimmt.
    Der zurückgewiesene Kowaljow weiß nicht, wie er ohne Nase weiterleben soll, zumal er sich Hoffnungen auf eine Beförderung und eine gute Ehe macht. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Der russische Ausdruck dafür, dass man mit leeren Händen dasteht, lautet: nur eine Nase haben. Aber Kowaljow hat gar keine Nase mehr – was bedeutet das? Es ist nicht so, dass er eine Zehe verloren hat, klagt er, denn dann würde er seinen verletzten Fuß in einem Stiefel verstecken, und niemandem fiele es auf. „Fehlte mir ein Arm oder ein Bein, das alles wäre besser; hätte ich keine Ohren, wäre es schlimm, aber immer noch leichter zu ertragen; ohne Nase aber ist der Mensch weiß der Teufel was.“ Er will in der Zeitung eine Anzeige schalten, aber der Beamte weigert sich, weil der vorgeschlagene Text dem Ruf der Gazette schaden würde, der ohnehin nachgesagt wird, zu viel Unfug zu veröffentlichen. Kowaljow ist pikiert: „Aber wenn doch meine Nase wirklich verschwunden ist!“
    Schließlich wird die Nase festgenommen. Sie soll sich wieder mit dem Gesicht verbinden. „Und was ist, wenn sie nicht sitzen bleibt?“ Kowaljow versucht zunächst, sie selbst wieder anzubringen, aber sie plumpst wie ein Korken auf den Tisch. Der Arzt warnt ihn, dass eine Operation alles noch schlimmer machen könnte. Ein paar Wochen später erscheint die Nase wieder in Kowaljows Gesicht, und man weiß ebenso wenig, warum sie wieder da ist, wie man wusste, warum sie verschwand. Kowaljow kehrt fröhlich in sein altes Leben zurück, als wäre nichts geschehen.
    In Gogols so herrlich unsinniger Geschichte muss man keine tiefere Bedeutung suchen. Sie macht sich einen Heidenspaß aus der Absurdität der menschlichen Nase. Was Kowaljow

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