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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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Königs (je nach Quelle Ludwig XIV. oder Ludwig XVI.) in einer Silberschatulle aufbewahrt wurde:

    Dr. Buckland sah es und rief entzückt aus: ,Ich habe ja schon vieles gegessen, aber noch nie das Herz eines Königs!‘ Und bevor ihn jemand aufhalten konnte, hatte er es schon verspachtelt, und die wertvolle Reliquie war für immer verloren. Dr. Buckland sagte gern, er habe sich durch das gesamte Tierreich gefuttert. Am schlimmsten sei der Maulwurf gewesen, wirklich schrecklich …
    In einer Fußnote ergänzt Hare: „Dr. Buckland erklärte Lady Lyndhurst später, nur eines sei unangenehmer als Maulwurf, und zwar die Blaue Schmeißfliege.“
    Bucklands ungewöhnliches Hobby stand seinem Aufstieg nicht im Wege. Vielleicht half es ihm sogar. Als Dekan in Westminstersorgte er 1845 für die Verbesserung des Mensaessens in Westminster School – wer weiß, was die Köche nun servierten! Er starb 1856 im Alter von 73 Jahren an einer Rückenmarksentzündung, die sich ins Gehirn ausbreitete. Keine seiner Mahlzeiten scheint ihm geschadet zu haben.
    Straußen- und Krokodilfleisch können wir heute beim Feinkosthändler kaufen. Mein zerlesenes Exemplar des amerikanischen Kochbuchklassikers The Joy of Cooking enthält Rezepte für Wildschwein, Waschbär und Braunbär („Jungbären sollte man 2 ½ Stunden kochen, ältere Bären 3 ½ bis 4 Stunden“) und andere Anregungen für den aggressiven Autofahrer.
    Was verrät uns diese traurige Tierparade über den Magen des Menschen? Buckland hat wohl auch deshalb alles Mögliche gegessen, weil er seine Mitwelt amüsieren oder schockieren wollte. Der gelehrte Kleriker nahm es mit den Ernährungsverboten des Buches Levitikus offensichtlich nicht so genau, denn er aß jede Menge „Abscheuliches“, zum Beispiel jene Fliege, die unter die verbotene Kategorie „Kleintiere mit Flügeln“ fällt. Andere unreine Tierarten wie Wiedehopf und Schliefer aß er wohl nur deshalb nicht, weil sich ihm keine Gelegenheit bot. Dem unbefangenen Beobachter scheint es, als hätte er sich im Interesse der Welternährungsproblematik lieber mit der Erforschung neuer Gemüsesorten beschäftigen sollen als mit seiner unheiligen Fressorgie.
    Bucklands Speiseplan führt uns vor Augen, wie begrenzt unser eigener eigentlich ist. Von all den Körperteilen, die wir Organe nennen, ist der Magen eines der einfachsten. Im Sektionssaal erkenne ich, dass er einfach ein Beutel ist, und wie jeder Beutel lässt er sich mit allem füllen, was hineinpasst. Chevalier Jackson, ein Kehlkopfspezialist aus Philadelphia, legte vor hundert Jahren ein Verzeichnis der Dinge an, die er aus den Kehlen und Mägen seiner Patienten gezogen hatte. Es waren Tausende: Schlüssel, ein Vorhängeschloss, Nägel und offene Sicherheitsnadeln. Auch im Gordon Museum, der anatomischen Sammlung mehrerer Londoner Krankenhäuser, befindet sich ein Sammelsurium von Objekten, die die Patienten imLauf der Jahre versehentlich oder absichtlich geschluckt haben, unter anderem die Bettfedern, die ein Brixtoner Gefängnisinsasse schluckte, weil er „einfach mal raus“ wollte.
    Menschen sind von Natur aus Allesfresser. Wir besitzen keine scharfen Zähne und Klauen zur Jagd und sind auch nicht besonders schnell, doch hat uns die Evolution mit einem Gehirn ausgestattet, das uns zu List und Tücke und zum Werkzeuggebrauch anregt. Unser beutelartiger Magen nimmt alles auf, und die anschließenden fünf Meter Darm können so ziemlich alles verdauen – auch rohes Fleisch. Seit wir das Feuer gebändigt haben, ziehen wir es allerdings vor, das Fleisch besser zu verarbeiten und mehr davon zu essen (mehr, als wir sollten). Was die Pflanzenwelt angeht, sind wir recht limitiert. Wir bevorzugen reifes Obst gegenüber Gras und Rinden, weil wir anders als richtige Pflanzenfresser keine Mägen mit Gärungskammern für ballaststoffreiche Substanzen besitzen. Beim Abendessen ekeln wir uns weniger aus physiologischen als aus kulturellen Gründen vor Fliegen- oder Menschenfleisch.
    In seinem berühmten Essay Von den Menschenfressern schrieb Michel de Montaigne: „Ich denke, dass es eine schlimmere Barbarei ist … einen noch von Gefühlen belebten Körper mit Foltern und Qualen zu zerreißen … als ihn zu braten und zu verspeisen.“ Wie die meisten Fleischsorten ist Menschenfleisch nahrhaft. Wie schmeckt es? „Wie Schweinefleisch“, sagt Helen Tiffin, die darüber geschrieben hat, wie viel wir den Schweinen verdanken. Nicht nur essen wir sie, wir nutzen sie auch immer

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