Anbetung
Feuer eröffnete.
Es ist ihr Schicksal, für immer bei mir zu sein. Als Beweis dafür haben wir die Karte aus dem Wahrsageautomaten. Sie hängt über ihrem Bett. Für einen einzigen Vierteldollar hat die Zigeuner-Mumie uns geschenkt, was das Paar vor uns für kein Geld der Welt kaufen konnte.
Logisch betrachtet, war Stormy außer Gefahr, wenn ich nicht eingriff. Wenn sie hingegen auf mein Drängen hin ihre Pläne änderte, machte ich womöglich zunichte, was ihr und mir bestimmt war. Ich musste dem Schicksal vertrauen.
Meine Aufgabe war es nicht, Stormy zu warnen, sondern Simon Varner aufzuhalten, bevor er so weit war, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Bevor er irgendjemanden umgebracht hatte.
Das Ganze war ein klassischer Fall von »leichter gesagt als getan«. Varner war ein Cop, ich nicht. Er trug mindestens eine Feuerwaffe bei sich, ich hingegen keine. Er war größer als ich, stärker als ich und in jeder nur möglichen Methode ausgebildet, einen aggressiven Bürger zu überwältigen. Kurz, er genoss alle Vorteile – außer einem sechsten Sinn.
Die Pistole, mit der Robertson erschossen worden war, lag unter dem Fahrersitz. Da hatte ich sie in der Nacht versteckt, um sie später irgendwo loszuwerden.
Ich beugte mich vor, tastete nach der Waffe, fand sie und zog sie heraus. Dabei fühlte ich mich wie beim Händchenhalten mit dem Tod.
Nach einigem Gefummel fand ich heraus, wie man das Magazin ausklinken konnte. Ich zählte neun Patronen. Glänzendes Messing. Fast vollständig geladen. Das einzige Geschoss, das fehlte, war jenes, das ein Loch in Robertsons Herz gebohrt hatte.
Ich schob das Magazin wieder in die Pistole. Mit einem Klicken rastete es ein.
Die Pistole meiner Mutter hat eine Sicherung. Wenn sie entriegelt ist, sieht man einen roten Punkt.
Diese Waffe besaß augenscheinlich keine vergleichbare Vorrichtung. Vielleicht war die Sicherung in den Abzug eingebaut, sodass man zweimal abdrücken musste.
Keine Sicherung an meinem Herzen. Es dröhnte.
Wieder fühlte ich mich wie beim Händchenhalten mit dem Tod – mit meinem eigenen Tod.
Mit der Pistole im Schoß griff ich nach meinem Telefon und gab die private Handynummer von Chief Porter ein, nicht die seines Anschlusses im Polizeirevier. Die Tasten schienen immer kleiner zu werden, als handelte es sich um ein Telefon, das Alice von einer Wasserpfeife rauchenden Raupe bekommen hatte. Trotzdem gab ich die Ziffern schon beim ersten Versuch richtig ein und drückte anschließend auf die Taste mit dem grünen Hörer.
Beim dritten Läuten meldete sich Karla Porter und sagte, sie sei immer noch im Wartezimmer der Intensivstation. Man habe ihr dreimal erlaubt, ihren Mann zu sehen, jeweils fünf Minuten lang.
»Beim letzten Mal war er wach, aber er ist noch sehr schwach. Er wusste, wer ich bin. Er hat mir zugelächelt. Aber er kann nicht viel sprechen, schon gar nicht in zusammenhängenden Sätzen. Man lässt ihn in einem halb betäubten Zustand, um die Heilung zu fördern. Ich glaube nicht, dass er vor morgen viel sagen wird.«
»Aber er wird wieder gesund?«, fragte ich.
»Das sagen sie jedenfalls. Und ich glaube es auch allmählich.«
»Ich hänge so an ihm«, sagte ich und hörte, wie meine Stimme brach.
»Das weiß er, Oddie. Er hängt auch an dir. Du bist wie ein Sohn für ihn.«
»Sagen Sie es ihm.«
»Das tue ich.«
»Ich rufe wieder an«, versprach ich.
Ich schaltete das Telefon aus und ließ es auf den Beifahrersitz fallen.
Der Chief konnte mir nicht helfen. Niemand konnte mir helfen. Die Mordgier dieses Kojoten würde keine traurige, tote Prostituierte ersticken. Nur ich konnte das.
Meine Intuition sagte mir, die Pistole lieber nicht mitzunehmen. Ich schob sie wieder unter den Sitz.
Ich stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Die feurige Sonne war gleichzeitig Hammer und Amboss. Sie schmiedete die Welt zwischen sich selbst und ihrem Spiegelbild.
Mein paranormaler Magnetismus funktioniert nicht nur, wenn ich im Auto sitze, sondern auch, wenn ich zu Fuß unterwegs bin. Er zog mich auf die nach unten führende Rampe zu. Ich ging hinab in die kühlen Katakomben des Einkaufszentrums.
58
Mit seiner niedrigen Decke und seinem endlos grauen Beton vermittelte das Untergeschoss, das als Personalgarage und Warenumschlagplatz diente, die düstere und unheilvolle Atmosphäre eines uralten, tief im Sand Ägyptens verborgenen Grabes. So konnte man sich die Grabstätte eines verhassten Pharaos vorstellen, dessen Untertanen ihn ohne
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