Andalusisches Feuer
Meinung nach solltest du bei ihnen zu Hause bleiben.“
„Schon mal was von Emanzipation gehört, Rafael?“
Er packte ihren Ellbogen und drehte sie zu sich herum. „Hast du vergessen, dass ich die Nachteile einer solchen Erziehung sehr genau kenne? Ich weiß, wie es ist, ohne Vater aufzuwachsen, abhängig von einer Mutter, die weder Zeit noch Lust hat, die Bedürfnisse ihres Kindes über die eigenen zu stellen!“
Wütend legte Sarah den Kopf in den Nacken, um ihn besser ansehen zu können. „Ich bin weder ungebildet, noch habe ich wechselnde Männerbekanntschaften, Rafael. Es ist zudem höchst unwahrscheinlich, dass eines meiner Kinder seine nächste Mahlzeit stehlen muss!“
Er ließ sie wieder los und ging weiter. Ganz allmählich überzog ein roter Schimmer seine gebräunte Haut. Zutiefst erschrocken über ihre grausame Bemerkung, senkte Sarah den Kopf. Rafaels Vater war vor dessen Geburt gestorben. Seine Mutter, eine Sinti und damals noch ein Teenager, hatte das Baby als lästige Bürde empfunden. Sie war mit ihm im Schlepptau kreuz und quer durch Spanien gezogen, hatte gelegentlich auch gearbeitet, meist jedoch hatte sie sich lieber auf die Großzügigkeit einer Reihe von wechselnden Liebhabern verlassen.
Die Liebe und Sicherheit, die für Gilly und Ben selbstverständlich waren, hatte er nie erfahren. Stattdessen hatte er lernen müssen, sich selbst zu versorgen. Im Alter von sieben Jahren war er beim Diebstahl an einem Marktstand erwischt und vorübergehend ins Waisenhaus gebracht worden. Daraufhin war seine Mutter, die wie viele Sinti Angst vor der Macht der Behörden gehabt hatte, geflohen. Rafael hatte sie nie wiedergesehen.
Man hatte seine Großeltern ausfindig gemacht und ihn an sie übergeben. Diese wiederum hatten ihn an Onkel und Tante weitergereicht, die nur widerwillig die Verantwortung übernehmen wollten. Selbst als Kind hatte Rafael schon sehr viel von dem verstanden, was um ihn herum vorging.
Sarah stellte ihn sich vor, einen kleinen Jungen mit schwarzem ungebändigten Haar und kühnen Augen, der die Welt herausforderte, ihn ja nicht zu bedauern. Ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen. Natürlich sprach Rafael nicht gern über seine Kindheit. Sie war sein Schwachpunkt. Vor vielen Jahren hatte Sarah sie als Verbindungsglied zwischen sich gesehen.
Sie drängte den Schmerz zurück. „Ich kann es mir nicht leisten, zu Hause zu bleiben.“
Er sah sie erstaunt an. „Bei unserer Trennung hast du meine finanzielle Unterstützung zurückgewiesen!“
Sie warf ihm einen gequälten Blick zu. „Damals dachte ich, die Kinder und ich wären dir gleichgültig. Ich wollte nicht, dass du mit Geld dein Gewissen beruhigst.“
„Gewissen beruhigen?“, wiederholte er aufgebracht.
„Okay“, gab sie müde zu, „das war wahrscheinlich nicht die klügste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Es war nicht einfach, allein zurechtzukommen, aber ich schätze meine Unabhängigkeit. Niemand mischt sich in mein Leben ein, und so will ich es.“
Er starrte sie ungläubig an. „Deine Eltern …?“
Sie nahm unbewusst eine Abwehrhaltung an. „Wäre ich zu ihnen zurückgekehrt, hätten sie mir ein Leben in Luxus ermöglicht. Aber ich bin ein bisschen zu alt, um mich von ihnen unterstützen zu lassen.“
„Und meine Kinder müssen den Preis für deinen falschen Stolz zahlen.“ Rafael bebte vor Zorn. „Wenn das ein Zeichen deiner Reife sein soll, bin ich nicht beeindruckt.“
Oh Gott, bitte lass uns nicht wieder anfangen zu streiten, betete sie stumm. Sie musste sich mit Rafael auseinandersetzen, musste ihn überzeugen, dass sie eine gute Mutter war. Aber er schien nicht einen einzigen Aspekt ihres Lebens gutzuheißen. Vermutlich meinte er, den Kindern mehr bieten zu können als eine kleine Wohnung in der City und eine berufstätige Mutter. Möglicherweise plante er, wieder zu heiraten. Bei dem Gedanken ergriff sie eine Übelkeit erregende, quälende Angst, die sie lieber nicht näher ergründen wollte.
Auf der Straße winkte er ein Taxi herbei, das sie zu einem Restaurant ganz in der Nähe ihrer Wohnung brachte. „Ich wusste nicht, wie viel Zeit du hast“, erklärte er.
„Den ganzen Nachmittag.“ Damit er dies nicht falsch auffassen konnte, ergänzte sie schnell: „Aber ich bin sicher, unser Gespräch dauert nicht so lang.“
Das Restaurant war in kleine Nischen unterteilt, kein Ort für geschäftliche Besprechungen, sondern eher für private Unterhaltungen in schummriger Atmosphäre bei
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