anderbookz Short Story Compilation
nachmittag nicht vergessen.«
Die Fackeln warfen einen flackernden Schein über sein Gesicht und verwandelten es zu einer wilden Maske aus Licht und Schatten. Ich zuckte die Achseln und gewann Kontrolle über einen plötzlichen Impuls, ihm zu Füßen in den Staub zu sinken.
Er winkte einen der Fackelträger herbei. »Es hat eh nichts genutzt.« Der Mann trat näher und ich erkannte Paul, den Rekruten aus dem Tunnel.
Nun, es sollte mich nicht weiter kümmern. Ich hatte mich um meine eigene Mannschaft und meine eigene Haut zu sorgen.
Banny hatte sich genähert, um mitzubekommen, worum es ging. Dervan erklärte: »Wenn Paul das Examen hat, werde ich ihn anwerben. Was glaubst du? Stehen meine Chancen gut?«
»Sehr gut, würde ich sagen.« Paul schien mit meinen Worten zufrieden zu sein. Sie waren nur allzu wahr. Wer sonst würde ihn noch haben wollen, da es ihn längst erwischt hatte?
Banny schien besorgt zu sein über den Ton dieses Wortwechsels. Aber als Stürmerin war ich praktisch sicher vor Dervans Tricks. Hätte ich je Anzeichen von Hörigkeit verraten (und ebenso wie Liebe ist sie unmöglich zu verbergen), würde Mark ihm eine Kur auf Streckbett und Nagelbrett verpassen. Vielleicht gar buchstäblich; ein- oder zweimal hatte Mark Leute bei privaten Aktionen in der Zeit erwischt. Und die waren sehr demütig da wieder herausgekommen.
Dervan war zwar ein Bürger, der sich freiwillig dafür entschieden hatte, Stürmer zu sein, nicht ein Flüchtling wie ich, aber wir beide arbeiteten für Mark. Und wir beide wußten, welche Schwierigkeiten wir bekommen würden, wenn wir ihm aus der Hand glitten.
Dervan musterte mich abschätzig, vielleicht in der Hoffnung, ich würde mich auf weitere Diskussionen einlassen. Dann wandte er sich ab und nahm Paul mit sich, um seinen blutrünstigen Jagderfolg zu feiern.
Banny meinte: »Ist es nicht gefährlich, sich mit Dervan anzulegen? Er könnte doch, du weißt schon, das mit dir machen.« Ach, die liebe Banny! Sie wurde tatsächlich rot. Es ist mir niemals gelungen, Bannys Herkunft zu klären, aber ich vermute einen viktorianischen Hintergrund.
»Das ist nicht sehr wahrscheinlich.« Ich erklärte ihr, was Mark dann unternehmen würde. Langsam und bedächtig fügte ich hinzu: »Du solltest nicht viel mit ihm reden. Besonders dann nicht, wenn du irgendeine Form von Emotion spürst. Der Akt der Unterwerfung ist abhängig von der Mitwirkung des Opfers, wie etwa die Beantwortung seiner Fragen, oder selbst aktiv zu ihm zu sprechen. Das beschleunigt den Prozeß. Wenn du jemals das Gefühl hast, es könnte geschehen, halt einfach deinen Mund und geh.«
Banny nickte, war offensichtlich entschlossen, eine solche Situation zu vermeiden.
Bald danach brachen wir auf. Banny ließ sich von einem Bürger nach Hause begleiten, der, seiner äußeren Erscheinung nach, ihres Alters sein mußte. Ich suchte Angelo, konnte aber weder ihn noch Lady Mary irgendwo entdecken. Die arme Frau! Es muße für sie ein schrecklicher Abend gewesen sein. So sehr ich Angelo auch schätzte, hoffte ich, sie würde bei ihm nicht Trost suchen. Er war unfähig, solchen zu geben. Vielleicht war das der Grund, warum ich ihn plötzlich überhaupt nicht mehr anziehend fand, wenn er auch bei den Bürgern überaus beliebt war. Man empfand so schnell Zuneigung zu ihm und vergaß, daß es nicht von Dauer sein konnte. Ich würde ihn hassen, wenn er mich jemals enttäuschte. Und das wollte ich vermeiden. Noch niemals hatte ich Uneindeutigkeit in einer Beziehung geduldet. Große Teile meiner Vergangenheit lagen für mich im Nebel, aber diese Empfindung war mir offenbar erhalten geblieben. Halt ... es ist nicht ganz richtig so. Ich konnte sie nicht an Menschen ertragen, die mir nahestanden. Zum Glück stand mir niemand wirklich nahe; das löste das Problem.
In den folgenden Wochen hatte ich mit dem Brian-Cornwall-Projekt eine Menge Arbeit. Mark nannte es übrigens »Projekt Möwe«. Unser beider Gedanken kreisten ständig darum, doch unter verschiedenen Vorzeichen, je nach dem, was jeder von uns in dieser Sache für das Wichtigste hielt. Ich hatte Psych so lange bearbeitet, bis er mir endlich Kopien von Aufnahmen aus Brians persönlichem Tagebuch überließ. Es enthielt Zeichnungen, Aufsätze, Beobachtungen, Beschreibungen von Menschen, denen er begegnet war. Es erinnerte mich sehr an die Besinnungsbüchlein, die ich im Japan der Heian-Periode »abgestaubt« hatte, und die in meinem Schlafzimmer das Bücherregal zierten.
Weitere Kostenlose Bücher