Anderer Welten Kind (German Edition)
beobachtete er sich selbst. War er jetzt erregt? Genauso wie mit Ricky? Warum erschlaffte sein steifer Pimmel schon wieder? Genoss er ihren Geruch, ihre Haut, ihren Atem? Er wusste es nicht. Jedes kleine Nachlassen seiner Begierde löste in ihm einen Panikschub aus, galt ihm als Überführung seiner Andersartigkeit. Seine Kontrolle über sich wuchs in dem Maße, wie seine Erregungszustände abflachten, und je größer seine Ängste wurden, desto heftiger versuchte er, sein Begehren zu steigern.
Helga, der das alles langsam zu viel wurde, begann auf Distanz zu gehen, indem sie sich ihm entwand oder zurückhaltend blieb. In ihr keimte der Verdacht auf, Christian sei nicht ganz ehrlich, sie bemerkte durchaus seine Schwankungen und die Bedrängnis, die er nicht kaschieren konnte, und als er den letzten Beweis ihrer Zuneigung von ihr einforderte, den unabdingbaren Beweis, in dem sein Heil liegen würde oder sein Untergang – darunter ging es bei ihm nicht mehr, Versagen oder Verheißung, ein normales Leben oder die gepeinigte Existenz eines Ausgestoßenen –, verweigerte sie sich ihm, indem sie ihn abrupt wegstieß, und hatte glücklicherweise gerade ihre Regel bekommen und einen objektiven, unwiderlegbaren Grund für ihre Unpässlichkeit und die anbrechende schlechte Laune zur Hand.
So verlegten sich die Nachmittage wieder vom Bett in Helgas Zimmer nach draußen zu langen Spaziergängen im Lauerholz oder zum Schaufensterbummel in der Stadt. Um das Deepenmoor machte Christian einen weiten Bogen. Er schlug vor, Michael zu besuchen. Er wollte ihm unbedingt von ihrem Riverboatbesuch erzählen.
„Geh doch allein“, antwortete sie und an der Art, wie sie es sagte, merkte er, dass sich zwischen ihr und Michael etwas verändert haben musste. Ihr Mund verzog sich leicht nach unten und ihr Körper zuckte kaum spürbar. Er ließ es dabei bewenden. Ohne sie traute er sich nicht hinzugehen, wer weiß, was der sich dachte, und er unterließ es, sie zu fragen, in dem sicheren Gespür, sie würde mit Ausflüchten antworten, aber auch, weil er es gar nicht wissen wollte.
Der Silvesterabend nahte. Sie würden nicht zusammen feiern. Helga besuchte traditionsgemäß mit ihren Eltern das Stadttheater. Es wurde die Operette Hochzeitsnacht im Paradies gespielt. Anschließend wurde der Jahreswechsel mit einem Buffet im Rathauskeller begangen. Helga tat es als leidige Pflicht ab; sie hätte lieber mit der Familie Lorenz gefeiert.
Am frühen Nachmittag trafen sie sich kurz am Rathausmarkt auf dem Platz des abgerissenen Kaaks, sich ein frohes neues Jahr zu wünschen, und sie versprachen, sich treu zu bleiben. Christian wünschte es sich so sehr, dass er es zuerst herausbrachte und der Rest Zweifel und Schäbigkeit, der mit diesem Versprechen unheilvoll verbunden war, nur den Rand seines Bewusstseins streifte. Es gelang ihm sogar, fast nicht an Ricky zu denken. Als sie sich umarmten und aneinander festhielten, hielt er die Augen geschlossen und sog tief die Luft ein. Mit Helga an seiner Seite würde alles gut werden.
Christians Eltern hatten ebenso traditionsgemäß die Kremers eingeladen. Seit ihrer gemeinsamen Flucht wechselten sie sich Jahr für Jahr mit der Ausrichtung des Silvesterabends ab. Nur ganz selten war es vorgekommen, dass neue Bekannte oder Freunde eingeladen wurden, und diese Feiern verliefen meist steifer und vorsichtiger, als wenn die beiden Familien nur unter sich ihren Emotionen freien Lauf lassen konnten.
Alle hatten sich festlich gekleidet. Die Männer in dunklen Anzügen, die Frauen in Kleidern, deren Röcke weit schwangen. Ingeborgs Fingernägel leuchteten feuerrot, sie waren perfekt. Schnittchen, Käsewürfel mit Ananasscheiben am Spießchen, Pumpernickel abwechselnd mit Käsescheiben geschichtet, Salzstangen, gesalzene Erdnüsse, Kartoffelsalat und Würstchen. Die Bowle war schon, wie jedes Jahr im Wechsel, vom Hausherrn angerichtet worden, eine Spezialität der Familien. Ananas aus der Dose in Stückchen geschnitten, mit sechs bis acht Gläsern Cognac begossen, fünf Stunden im bauchigen Gefäß mit dem Glaslöffel stehen gelassen, mit Moselwein bis knapp über die Früchte aufgefüllt, und kurz, bevor die Gäste kamen, mit drei Flaschen Sekt vollendet. Fritz versuchte jedes Mal, zwei Gläschen Cognac mehr zuzuschütten, aber Ingeborg ließ ihren Mann nicht aus den Augen. Sie wusste, dass die Wirkung auch so teuflisch genug war.
Bier und Mariacron für die Männer, Moselwein, Eierlikör, Weinbrandbohnen für
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