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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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einen Krebs, der Rhythmus war dahin und Siggi schrie „Und Halt“ und alle vier stellten die Blätter quer, ließen die Prickel gegen die Brust schlagen und stemmten sich mit ihren Körpern gegen die Fließrichtung.
    „Wir üben den Start noch einmal“, beschied Siggi und er ermahnte Wolle, der backbord auf Nummer zwei saß, nicht zu sägen. „Zieh gleichmäßig durch. So bringt das nichts, ich muss immer gegensteuern.“
    Wolle winkte ab. Er war fertig, geschafft, er wusste, dass er das Blatt nicht mehr mit einem Schwung durchziehen konnte, immerhin hatten sie schon acht Kilometer in den Knochen, das schlauchte.
    Sie richteten sich aus, pumpten Luft und schoben ihren Sitz auf dreiviertel Länge. Die Blätter der Riemen standen senkrecht im Wasser.
    Siggi brüllte „Dreiviertel Halbe, Dreiviertel Ganz“ und das Boot wurde mit den vier kurzen Schlägen nach vorne getrieben.
    „Zehn Dicke!“, schrie er, „und eins, und zwei, und drei …“
    Die Jungen warfen sich in die Riemen und zogen mit aller Kraft und das schlanke, weiße Boot mit dem Namen „Wotan“ schoss über das Wasser. Trotz der Schmerzen und der Müdigkeit durchfloss sie das Gefühl unbändiger Kraft und Christian sah, wie sein dunkelblaues Blatt mit den rotweißen Streifen durch das Wasser glitt, gleichmäßig, ohne Blasen zu werfen, wieder herauskam und flach über das Wasser zurückflog und nichts konnte ihn mehr ablenken. Mit den Ringen auf dem Wasser, die die Riemen hinterließen, als das Boot schon längst weitergeschwommen war, ließ auch Christian endlich seine innere Unruhe zurück, die er selbst im Training bis zu diesem Augenblick nicht hatte abstellen können.
    „Ist genug für heute!“ Henzes Stimme vom Uferweg erlöste sie und als sie wendeten und auf das Ufer zusteuerten und ihn fragend anschauten, schon unsicher geworden in der Erwartung des kleinen bösen Lächelns, das die obere Zahnreihe bleckend freilegte und die Einleitung zu einer Tirade über ihre Unfähigkeit ankündigte, nickte er diesmal, über den Lenker seines Fahrrads gelehnt, und anstatt der Predigt über die schlechte Körperhaltung, die Wackelei und „das sieht ja aus wie eine Wanderfahrt von Klosterschwestern!“ sagte er: „Das wird was, gut gemacht. Die Einzelheiten bereden wir nachher.“
    Damit schwang er sich auf sein Rad und entschwand Richtung Bootshaus.
    Anfangs, als Christian den blauen Ruderriegenpullover von einem Abiturienten geerbt hatte, dem er im Vierer auf der drei steuerbord nachgefolgt war und somit rechtmäßiger Erbe des Lappens – denn als viel mehr war der Pullover nicht mehr zu bezeichnen –, ekelte er sich vor dem penetranten Schweißgeruch, der ihm entströmte. Die Kleiderordnung sah keine Reinigung oder Instandsetzung des Traditionsstückes vor. Nur ganz selten, wenn der Kluft zu arg zugesetzt war, gab es eine neue, von den alteingesessenen Mannschaften verschmähte Ausrüstung, die aber, wenn sie die erste Patina – im übertragenen Sinn – angesetzt hatte, wieder in den Besitz der Älteren gelangte, ein kompliziertes Ritual, dessen ungeschriebene Regeln keinerlei Erklärungen bedurften.
    Ebenso verhielt es sich mit den grünen und roten Holzschuhen, Klotten genannt, und den dicken wollenen Socken mit den Löchern, mit denen man in die Halteschlaufen der Fußstützen schlüpfte, während die Klotten neben dem Rollsitz verstaut wurden.
    Es hatte Christian eine große Überwindung gekostet, sich Nachmittag für Nachmittag dem fremden Odeur auszusetzen, und erst nach einiger Zeit und einer Menge eigenem Schweiß ergab sich die Geruchsmischung, in der seine Eigenanteile auszumachen waren. Inzwischen war ihm das Tragen der Trainingsklamotten selbstverständlich und er dachte nicht mehr darüber nach.
    Nach dem Duschen saßen sie im Clubraum zusammen. Es roch nach kaltem Rauch und aus dem Bootshaus, dessen Flügeltür weit geöffnet war, zog ein leichter, kaum wahrnehmbarer Geruch nach Schmierfett und frischer Lackfarbe hinüber. Die Boote, auf Trägern übereinander gestapelt, lagen still und an einigen glitzerten Wassertropfen und fielen, nachdem sie zu kleinen Rinnsalen zusammengeflossen waren, mit einem hellen Plopp zu Boden. Sie flößten Vertrauen ein, stabile, schlanke Körper mit Namen, die einen trugen und die mehr waren als Instrumente zur Fortbewegung, sie hatten Persönlichkeit, jedes Boot seine eigene.
    Jürgen trug die Trainingsfahrt ins Fahrtenbuch ein: Kilometerzahl, Mannschaft, besondere Ereignisse, keine. Henzes

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