Anderer Welten Kind (German Edition)
Ausflug zur nahen Straße vor, auf der eine kilometerlange Schlange parkender Autos auf sie wartete, begutachtet zu werden, nachdem sie zuvor von ihren Vätern zu den Pappschildern an der Zeltwand geführt worden waren, auf denen die alten Standartennamen der Panzerdivisionen der Waffen-SS standen. Als sie das Schild mit der Aufschrift „Leibstandarte Adolf Hitler“ passierten, stießen sich die Väter an und riefen sich etwas ins Ohr, was die Jungen nicht verstanden. Unter dem Schild 9. Panz.-Div. Hohenstauf und 10. Panz.-Div. Frundsberg blieben sie stehen, Fritz Lorenz klopfte Herbert Kremer auf die Schulter und nickte nur.
„Das war unsere Einheit, die zehnte“, sagte Herbert Kremer zu Christian und Stefan gewandt. „Ich sag nur: Hausser!“
Der Lärm in dem Zelt war inzwischen so angeschwollen, dass an eine Unterhaltung, geschweige denn an eine Unterweisung in militärische Formationen nicht zu denken war, und nach einem Versuch, sich schreiend verständlich zu machen, gab Herbert Kremer auf und die Jungen waren entlassen.
Die meisten Automarken interessierten sie nicht. Die kannten sie. Den DKW F 89 nannten sie verächtlich Kleistermasse, den Goggomobil Plastikbomber und den Zündapp Janus fanden sie lächerlich. „Nach hinten rausgucken, so ’n Quatsch.“ Und Käfer, die hatte jeder, der sich ein Auto leisten konnte. Aber es standen auch andere Wagen in der Reihe, Mercedes 180, sogar ein silberner 300 SL mit 250 PS, Opel Kapitäne und einen Admiral entdecken sie. Sie inspizierten die „Schlitten“, wie sie sie nannten, so gründlich, dass sie den knöcheltiefen Morast der Wiesen nicht bemerkten, in den sie sanken, als sie um die Autos herumgingen, der ihre Schuhe und Hosenbeine mit Schlamm bespritzte.
Stefan kannte sich aus und er spulte PS, Hubraum, technische Ausrüstung, Geschwindigkeit, wann gebaut und wie viele Stückzahlen schon produziert, mit der Lässigkeit der unbezweifelbaren Autorität herunter, aber manchmal, wenn er mit der Hand über einen Kotflügel strich oder sich tief ans Fenster zu den Instrumenten beugte, war die Ehrfurcht zu spüren, die er der Schönheit und der Technik der Autos zollte. Christian bewunderte seinen Freund für diese Kenntnisse, er konnte sich nicht so begeistern, aber vieles von dem, was er in Gesprächen mit anderen beitrug, entstammte dieser Quelle.
Und natürlich war auch Stefans Lieblingsauto, ein blau-silberner amerikanischer Pontiac Starchief mit der genauen Bezeichnung Catalina Hardtop mit schmalen Heckflossen, den er aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte, auch sein Favorit. Es war in Stefans Zimmer über seinem Schreibtisch an der Wand mit goldenen Reißzwecken gepinnt. Christian hätte sich so ein amerikanisches Auto nie hinhängen dürfen. Das Schönste an dem Auto waren für Christian die beiden Auspuffrohre, die, in die chromfarbene Stoßstange integriert, wie ein Düsenaggregat wirkten. Blitzende, geschwungene Chromverzierungen am Heck unterstrichen die schlanke Linie. Stefan träumte von lässigen Fahrten, einen Arm aus dem Fenster oder um die Schultern einer jungen Frau gelegt, die sich auf der durchgehenden Vorderbank eng an ihn geschmiegt hätte, einen Hut aus der Stirn geschoben, und Christian pflichtete ihm bei, nur den Hut hätte er weggelassen.
Ihre Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als sie Hochrufe und Beifallklatschen hörten und am Eingang sich die Menge verdichtete und ins Zelt strebte. Einzelne Sprechchöre wurden hörbar: „Panzer Meyer, Panzer Meyer, Hausser, Hausser!“
Die Jungen rissen sich von den Autos los, beeilten sich, ins Zelt zu kommen, und schafften es bis in den Eingangsbereich, eingekeilt in eine tausendfache Menschenmasse, die skandierte: „Panzer Meyer auf den Tisch!“ Sie drängten sich in das Zelt hinein und konnten nun endlich aus ein paar Metern Entfernung den Mann leibhaftig sehen, der in der Geschichte der Waffen-SS eine Legende darstellte: Kurt Meyer, General der Waffen-SS, Ritterkreuzträger und Kommandeur der 12. Panzerdivision, der SS-Division „Hitlerjugend“, wegen seiner Tollkühnheit Panzer Meyer genannt und Rommel in nichts nachstehend. Wie oft hatte Christian sein Foto in dem Buch Waffen-SS im Einsatz angeschaut und jetzt kletterte er gerade auf den Tisch, an dem er vorher zusammen mit Willy Hübener gesessen hatte und in ein ernstes Gespräch vertieft war, so schien es zumindest. Er besänftigte die Menge mit den Händen, aber sein Gesicht strahlte und er genoss seine Sonderrolle. Die
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