Anderer Welten Kind (German Edition)
so viele Worte verliert, dann ist es ihm ernst. Und Wullenwever sagt nie etwas einfach nur so. Er würde aufpassen müssen, obwohl er die Ansicht nicht teilte, Christian sei noch ein Kind. Wullenwevers Meinung war ihm wichtig.
Sie saßen in einem Hinterzimmer in Wullenwevers Antiquariat und warteten auf Malskat, der am Tag zuvor aus Schweden zurückgekommen war und mit einer guten Flasche Aquavit vorbeischauen wollte, um seine Abschlüsse und Verträge zu feiern. In dem schlecht durchlüfteten, rauchgeschwängerten Zimmer mit der niedrigen Decke und den mit Nippes und altem Geschirr überbordenden Abstellflächen hingen einige von Rickys Landschaftsbildern, wilde Striche in schreienden Farben, überzogen und provokativ. Aber auch ein Aquarell von dem Haus im Deepenmoor vom Ufer aus gemalt, an einem sonnigen Tag, an dem Ricky fast die gleiche Stelle wie Christians Beobachtungsposten eingenommen haben musste. Der bläulichgraue Teich ging über in das hellgrüne, frühlingsfrische Ufer und auf das Reetdach fiel der Schatten einer hochgewachsenen Birke. Sogar das Boot lag vertäut am Steg. Es war ein kleines Aquarell in einem dunklen Rahmen und mit einem sehr feinen Pinsel gemalt und die Sonnenhelle mit den Schattenspielen löste beim Betrachter kleine Sehnsüchte nach Wärme und flirrender Luft aus. Wullenwever beschied alle Kaufinteressen negativ.
Malskat war also wieder da. In den drei Monaten seit seiner Haftentlassung hatten sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen, das Haus im Deepenmoor blieb ein Provisorium, das Atelier unvollständig bestückt und es trug eher Rickys Handschrift als seine. Wullenwever war durchaus bereit, Malskat seine Wände für Ausstellungen zur Verfügung zu stellen, er hätte sogar einen Raum als Galerie geräumt mit einem Schild an der Eingangstür, aber Malskat hatte lächelnd abgewinkt, er wolle größer einsteigen. Jedoch sollte es zuerst der Hundesalon seiner Frau im folgenden Jahr werden, in dem er zum ersten Mal ausstellte, aller Anfang ist schwer, das hätte er nicht ahnen wollen. Nun, er hatte inzwischen einen Namen und die Schweden schienen sich nicht an seinem Fälscherimage zu stoßen, sonst hätten sie ihm nicht die Restaurierung der Gaststätte Tre Konar in der königlichen Tennishalle in Stockholm anvertraut. Im Prozess wurde die Summe von sechsundvierzigtausend Reichsmark genannt, die ihm seine Fälschungen der großen Meister wie Barlach , Liebermann , Utrillo , Chagall , Kokoschka , Picasso , Rembrandt , Rousseau und andere eingetragen haben sollen. Davon schien nicht viel übriggeblieben zu sein, so runtergerissen wie er manchmal ausgeschaut hatte. Wenigstens hatte er nicht mehr diesen komischen bayerischen Hut auf, den ihm die Galeristin Frau Dr. Roth aus München geschenkt hatte, die als Zeugin im Prozess aufgetreten war, und mit dem ihn alle Zeitungen abgelichtet hatten. Malskat, ein Hallodri?
Wullenwever verschwand und kehrte kurz darauf mit einem braunen Briefumschlag zurück.
„Achthundert, wie abgemacht.“
Inklusive Risikozuschlag, dachte er.
Er reichte Ricky den Umschlag, den er, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, in der Innentasche seines hellbraunen Cordjacketts mit den Lederabsetzungen an den Revers verschwinden ließ. Auch das gehörte zu den kleinen Ritualen zwischen ihnen, die sich im Laufe der Zeit eingespielt hatten und die die Worte ersetzten.
„Wann soll ich wieder liefern?“, fragte er Wullenwever.
„Es gibt noch keinen Termin, aber sie wünschen sich eine ganze Serie für ein Etablissement. Sieben oder acht Bilder, so ähnlich wie das letzte. Fang schon mal an.“
„Sind die verrückt? Wenn Malskat da ist, kann ich das nicht malen, der wirft mich raus. Ich brauche Zeit, mindestens bis zum Frühjahr.“
„Hab ich ihnen schon gesagt. Das sei kein Problem, meinen sie.“
„Ich überleg es mir und sag dir nächste Woche Bescheid.“
Er brauchte es sich nicht zu überlegen. Das wusste er genauso gut wie Wullenwever. Die speziellen Bilder waren seine einzige Einnahmequelle, die anderen, die mit Herzblut gemalten, verkauften sich nicht. Niemand wollte Landschaften, die sich allein durch Farbkompositionen erschlossen und nicht durch die Form. Es war wie mit dem Bild hinter dem Bild hinter dem Bild, nur decodierbar, indem man bereit war, die Schichten abzutragen und in sie einzutauchen.
Selbst Wullenwever hängte nur die noch einigermaßen erreichbaren Werke auf. Er schätzte Rickys Arbeiten sehr und ermutigte ihn weiterzumachen,
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