Anderer Welten Kind (German Edition)
Dann sagten sie eine Weile nichts mehr. Als Wullenwever das Thema wechselte und auf das Antiquitätengeschäft zu sprechen kam, schwieg Ricky die ganze Zeit, zu sehr hatte ihn der Rauswurf verletzt.
Wullenwever spürte Rickys Wut. Es lag eine gewisse Undankbarkeit in der Kündigung, denn Ricky hatte Malskat im Prozess, so gut er es konnte, unterstützt, hatte unter den Malerkollegen auf der Landeskunstschule am Lerchenfeld in Hamburg für ihn geworben, seine Qualität und seine Unschuld gepriesen und ihn im Gefängnis Lauerhof besucht, ihm Zigaretten gebracht und das Deepenmoor in Schuss gehalten.
„Und nu?“
Ricky sah Wullenwever fragend an.
„Nee, das schüttle dir gleich mal aus dem Kopp“, sagte Wullenwever, „bei mir nicht. Das geht nicht. Ich habe keinen Raum für ein Atelier, das Tageslicht hat und außerdem nicht einzusehen ist.“
„Auf dem Dachboden, könnte man da nichts machen?“
Ricky kannte das Haus in der Fischergrube und der Speicher, der vollgestopft war mit dem Plunder, selbst im Geschäft nicht mehr zu veräußern, hatte zwei wunderbare große Dachluken mit West- und Südlicht, ideal zum Malen. Und eine Staffelei brauchte nicht viel Platz.
„Ricky, denk doch mal nach. Es ist kein Ofen dort oben, staubig und feucht ist es auch. Und alle Bewohner des Hauses haben dort Verschläge. Nein, es geht nicht. Aber selbst wenn, soll ich noch einmal einfahren, wenn es schiefgeht? Was meinst du denn, warum ich nicht ein einziges Mal im Lauerhof auf Besuch war? Ich konnte da nicht reingehen. Guck mich doch mal an. Ich bin sowieso nur noch ’ne wandelnde Leiche. Nee, ich hab jetzt schon zu viel Schiss.“
Jetzt redet Wullenwever wirklich viel, dachte Ricky. Er hatte ja recht. Das Risiko war zu groß. Und Wullenwever würde ein drittes Mal nicht überleben. Es reichte schon, dass er sich um den Verkauf der Bilder kümmerte. Ein schlechtes Gewissen beschlich ihn.
„Ist in Ordnung, Wullenwever“, sagte er, „ist mir nur so durch den Kopf geschossen. Ich find schon was. Aber Malskat ist ein Arsch, musst du doch zugeben.“
„Gar nichts muss ich zugeben.“ Wullenwever schüttelte ungehalten den Kopf. „Was würdest du denn an seiner Stelle tun? Er ist mal gerade drei Monate draußen und nun sieht er endlich Licht am Ende des Tunnels. Dass er sein Atelier braucht, ist doch selbstverständlich, und wenn sein Sohn dort ist, reicht der Platz eben nicht. Nein, ich versteh ihn ganz gut. Dass du sauer bist, kapier ich auch, aber es ist nicht zu ändern. Du hast kein Recht, ihn so zu behandeln, immerhin warst du eine ziemlich lange Zeit da draußen. Du musst dir schnell eine andere Lösung suchen. Oder soll ich schon mal absagen?“
Hastig schüttelte Ricky mit dem Kopf: „Um Gottes willen, nein, bloß nicht, ich brauch das Geld. Mir wird schon etwas einfallen. Ich hatte im Gegenteil daran gedacht, dass du nach einem Vorschuss fragst. Ich bin ziemlich pleite und mit der Miete im Rückstand …“
„Ich würde dir gern selbst das Geld leihen“, sagte Wullenwever, der Rickys prekäre Lage kannte, „aber schau dich um, das Geschäft ist nicht gerade eine Goldgrube. Und meine Rente, lächerlich. Für das KZ gibt es keine Entschädigung. Ich war schon x-mal deswegen beim Versorgungsamt. Das …“, und er zeigte auf seine Füße, „… gilt nicht als Kriegsverletzung. Nichts zu machen.“ Seine Stimme war bitter-leise geworden.
Ricky kannte inzwischen Wullenwevers Geschichte und sie schnürte ihm den Hals zu, wenn sie ihm hochkam.
Auch deswegen liebe ich dich, dachte er, du bist so tapfer.
Stückweise und in kleinen Happen hatte Ricky sie sich zusammengesetzt, denn Wullenwever wollte darüber nicht reden, er war verschlossen wie eine Auster und nur in ganz seltenen Momenten rutschte ihm fast unbeabsichtigt ein Hinweis oder eine Begebenheit heraus und Ricky musste schon sehr nachbohren, um sich ein Bild machen zu können. Aber seit einiger Zeit hatte er Wullenwevers Leben in den Grundzügen beisammen und jetzt fiel es auch Wullenwever nicht mehr ganz so schwer, ihm weitere Einzelheiten zu erzählen. Vielleicht spürte er Rickys ehrliche Anteilnahme und seine Zugewandtheit. Ricky hatte sogar schon einmal Wullenwever auf das Versorgungsamt begleitet und er war hell empört über die Behandlung gewesen, über diese überhebliche und schnodderige Art des jungen Angestellten und die Missachtung, die schon an Verachtung grenzte, die darin zum Ausdruck kam. Wullenwever hatte Ricky am Arm gefasst und ganz
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