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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Tisch zu machen. Innerlich wand er sich; nach außen hin saß er nur stumm da. Er schämte sich, gleichzeitig widersetzte sich etwas in ihm, was stärker wurde, er fühlte, dass das Buch so wichtig für ihn geworden war, dass er es nicht aus der Hand geben wollte.
    Er hob den Kopf, nahm sich zusammen und sagte so fest wie möglich: „Mama, ich habe das Buch wirklich nicht. Und ich schnüffle auch nicht in deinen Sachen.“ Er schaffte es aber nicht, ihr in die Augen zu blicken.
    Ingeborg runzelte die Stirn, dachte fieberhaft nach, könnte Fritz vielleicht doch? Aber sogleich verwarf sie den Gedanken wieder, diese Gelegenheit hätte er nicht verstreichen lassen. Er hätte es wahrscheinlich gewaltsam geöffnet und vielleicht ständen ja Dinge drin, die ihn in seiner Abneigung bestätigt hätten. Wer weiß.
    „Christian, du enttäuschst mich sehr“, sagte sie nach einer Pause, in der sie den Blick nicht von ihm nahm, und in ihrem Blick lag etwas, als wenn sie ein fremdes Wesen betrachtete. „Ich weiß nicht, ob ich dir noch vertrauen kann. Geh jetzt in dein Zimmer, ich möchte dich heute nicht mehr sehen.“
    Sie starrte auf den Couchtisch, als Christian, ohne zu protestieren, den Raum verließ, und starrte immer noch, als sie ihn nach einer kurzen Weile auf die Toilette gehen hörte.
    Als Christian die Fliese aus der Badewannenverkleidung löste und einen kleinen Raum freilegte, der schon, seitdem sie die Wohnung bezogen hatten, sein Geheimversteck war und so wichtige Schätze wie sein erstes Micky-Maus-Heft und Gewehrpatronen aus dem Lauerholz barg, fühlte er, dass er seinen Rückhalt, den ihm seine Mutter gewährte, aufs Spiel gesetzt hatte. Jetzt war er wirklich allein. Seine Mutter war immer eine feste Größe bei seinem Haltsuchen gewesen und er konnte sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, was es hieße, wenn sie ihm ihre Zuwendungen und Zuneigungen entzöge, und er bereute sein Verhalten, das ihm selbst Angst machte. Er konnte nur nicht zurück und deshalb stopfte er das Tagebuch, das er unter dem Hemd ins Bad geschmuggelt hatte, in sein Versteck und hoffte inständig, dass es von seinen Eltern nicht auch schon längst entdeckt war.
    Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so schlecht gefühlt zu haben. Alle schienen sich von ihm abzuwenden, niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben. Sein Herz trommelte gegen seine Rippen. Er war nicht in der Lage, seine Situation zu überdenken. Er bildete sich ein, alle hätten sich gegen ihn verschworen. Sein eigenes Verhalten brachte er natürlich in den Zusammenhang mit den Abfuhren. Er hatte heute alles falsch gemacht, da gab es nichts zu beschönigen oder zu entschuldigen. Er vergrub sich in sich selbst und ließ kreisen, was er nicht anhalten konnte, und alles vermischte sich schließlich zu einem grotesken Tanz von Selbstvorwürfen und Beschuldigungen, Selbstmitleid und Wut gegen die, die ihn nicht verstehen wollten, gegen Stefan, Helga, seinen Vater, von Dülmen und Wullenwever, Henze und Wenzel, nur seine Mutter, die sparte er aus, ihr gegenüber empfand er nichts als Verrat und Scham.

11. Kapitel

    Den schalen Geschmack im Mund konnte Christian am nächsten Morgen nach einer furchtbaren Nacht mit keiner Zahnpasta der Welt wegputzen. Er schleppte sich durch das Frühstück, beäugte seine Mutter, die um sich ein Klima eisigen Schweigens verbreitete und nur mit Renate kurze Wortwechsel über den Haushalt tauschte.
    Die Stimmung in der Familie Lorenz war bedrückt und jeder bemühte sich, dem anderen aus dem Weg zu gehen. Die Gereiztheit von Fritz Lorenz richtete sich gegen seine Frau, Christian ignorierte er. Renate hielt sich vollkommen heraus und, obwohl sie es nicht gerade genoss, war ihr doch anzumerken, dass sie nicht im Epizentrum dieses Spannungsfeldes lag.
    Der Streit der Eheleute wegen Tante Hermine war auch an diesem zweiten Tag noch nicht ausgestanden, nur schienen sich die Gewichte verschoben zu haben. Ingeborg behauptete in ihrer ganzen Haltung eine Aggression, die Fritz verunsicherte. Sie schien entschlossen, diese Schlacht durchzustehen und nicht zurückzuweichen, und die defensive Krümmung ihres Körpers am ersten Abend ersetzte sie jetzt durch eine gespannte konzentrierte Ökonomie in ihren Bewegungen und Verrichtungen. Damit konnte er nicht umgehen und die geknurrten, gereizt vorgetragenen Gesprächsfragmente waren eher Rückzugsgeplänkel denn angriffslustige Vorstöße.
    So machten denn alle, dass sie schnell wieder

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