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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Venezia stand. Der Schreck durchzuckte ihn. Was, wenn jetzt Ricky tatsächlich in dem Café säße? Er konnte jetzt nicht mit ihm reden. Hastig schob er sein Rad weiter und blickte in eine andere Richtung. Er hatte es sehr eilig wegzukommen. Ohne nachzudenken, schwang er sich auf den Sattel und trat in die Pedale. Es war ihm egal, dass er gegen die Einbahnstraße fuhr und ein heftiges Hupkonzert der Autofahrer erntete. Ein Polizist war weit und breit nicht zu sehen. An der Wahmstraße hielt er außer Atem an und schnappte, über den Lenker gebeugt, nach Luft. Er bog Richtung Kohlmarkt ab und stieg wieder vom Rad.
    Am Textilhaus Anny Friede warf er einen zufälligen Blick in ein Schaufenster und erstarrte. Der Mantel, den Helga sich ausgesucht hatte, hing noch dort und sofort überschwemmte ihn die Erinnerung an den wunderschönen Nachmittag. Das sollte erst eine Woche her sein? Er blieb stehen und starrte den Mantel an und in seinen Ohren hörte er ihr Lachen und ihre komische, tiefe Stimme, mit der sie den Conferencier nachgeäfft hatte. Die Bilder ihrer Spaziergänge, die Kinobesuche, die Zärtlichkeiten auf ihrem Bett, der Geruch ihrer Möse, die er endlich einmal streicheln durfte, und den er sich, an den Fingern riechend, beim Nachhauseweg als Urgeruch des weiblichen Geschlechts einverleibte, die vielen Gespräche über den Existenzialismus, die ihn tüchtig umkrempelten und verunsicherten, und ihr Lachen, immer wieder ihr Lachen, ließen ihn leise aufstöhnen, und er spürte schon die Einsamkeit, die ihn heimsuchen würde und die er jetzt schon zu hassen begann.
    Er riss sich los. Einer plötzlichen Eingebung folgend rannte er beinahe in die Breite Straße, sein Fahrrad klapperte und sprang über das Kopfsteinpflaster, vorbei an Niederegger, die Hüxstraße hinunter. Er musste Ricky von Dülmen sehen. Wer sonst würde ihn verstehen? Ihm wollte er sich anvertrauen, seinen Rat suchen. Ricky kannte sich im Leben aus. Ihm wollte er sofort und augenblicklich sein ganzes Elend ausschütten und ihn damit zum Vertrauten und Mitwisser machen.
    Die Fenster der Eisdiele waren beschlagen. So sehr Christian auch versuchte hineinzuspähen, er sah nur undeutliche Schemen und hörte das Gewirr der Stimmen. Als er die Tür öffnete, schlugen ihm Lärm und Rauch entgegen und er erblickte sie sofort. Ricky saß mit Wullenwever an einem der kleinen Tische im hinteren Teil des Cafés, nicht weit von den Toiletten entfernt. Sie hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und waren in ein Gespräch vertieft, ohne ihre Umgebung zu beachten. Christian blieb unschlüssig stehen. Er traute sich plötzlich nicht mehr; ihn verließ sein Mut. Damit hatte er nicht gerechnet. Er wollte das Lokal wieder verlassen, aber etwas hielt ihn davon ab. In seiner Unschlüssigkeit blieb er in der Eingangstür stehen, stand Gästen, die hinauswollten, im Weg und versperrte anderen, die hineinwollten, den Zugang. Schließlich überwand er sich und nach ein paar zögerlichen Schritten stand er vor dem runden Tischchen und sagte „Hallo“.
    Ricky und Wullenwever sahen überrascht auf und es war ihnen gleich anzumerken, dass sie Christians plötzliches Erscheinen als störend empfanden. Beide rauchten eine Zigarette. Der Aschenbecher quoll über, eine Schachtel Senoussi Nr. 14 lag zerknüllt daneben. Vor von Dülmen stand ein Kännchen Kaffee, Wullenwever hatte nichts bestellt.
    „Tach, was machst du denn hier?“, fragte Ricky, aber es war eigentlich keine Frage, sondern in seinem Satz steckte schon die Aufforderung, ihn heute nicht zu belästigen. Seine Miene hatte ihn verraten.
    Wullenwever sagte eher beiläufig: „Hallo, Christian, so trifft man sich wieder.“
    Aber auch er forderte ihn nicht auf, sich zu ihnen zu setzen. Und so stand Christian ziemlich dumm da, wechselte von einem Fuß auf den anderen, wusste nicht ein noch aus, wusste nicht, wohin mit seinen Händen, faltete sie, verschränkte sie, steckte sie in den Anorak. Stand. Er hätte in den Erdboden versinken mögen.
    Alle drei schwiegen und in das Schweigen hinein sagte Ricky gedehnt, absichtlich langsam: „Hör mal, ich habe heute wirklich keine Zeit, tut mir leid. Wullenwever und ich haben etwas zu besprechen.“
    Er neigte sich Wullenwever zu, hielt dann inne, drehte sich zu Christian und schaute ihn zum ersten Mal direkt an: „Morgen, ja morgen Nachmittag, so gegen drei, hier?“
    Als Christian nickte, wandte Ricky sich wieder an Wullenwever und ihm blieb nichts anderes übrig, als Tschüss

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