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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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Hause trinkt sie nur riesige Mengen Tee. »Ich komme
heute Abend etwas später heim«, sagt sie über den Rand ihrer
Tasse hinweg.
»Mhm…« Ich stochere in dem Rührei herum, auf der Suche
nach einem unverbrannten Streifen Speck. »Wer ist es?«
»Könnte es nicht sein, dass ich einfach mal Überstunden
mache?«
»Komm schon, wo hast du ihn kennen gelernt?«
Sie grinst. »In der Kanzlei. Er ist einer von Terezas
Mandanten. Ein gut aussehendes Betrugsdelikt.« Sie bläst
vorsichtig in ihren Tee. Manchmal vergesse ich, dass sie meine
Mutter ist, sie ist so jung.
»Betrug? Ist er daran beteiligt oder davon betroffen?«
»Habe ich jemals einen Verbrecher angeschleppt?«
»Ein paar von ihnen sahen aus wie Verbrecher.« Ich bin
fündig geworden und spieße ein Stück Speck auf die Gabel.
»Was sagt Tereza dazu?«
Tereza ist weit mehr als nur ihre Chefin. Sie ist schlechthin
alles für Glass – nachsichtige Beichtmutter und beste Freundin,
der Fels in der Brandung, wenn das Leben zu stürmisch wird.
»Sie sagt, der Kerl habe einen schlechten Charakter, weil er
seine Schnürsenkel nicht richtig bindet oder so was. Angeblich
ein untrügliches Zeichen.« Glass zieht unwillig die Nase kraus.
»Wahrscheinlich ist sie nur eifersüchtig.«
»Auf den Typen?« Das Rührei ist völlig versalzen, ich schiebe
es an den Tellerrand. »Du spinnst.«
»Alte Liebe rostet nicht, Darling.«
»Eitelkeit anscheinend auch nicht. Du bist längst abgemeldet.
Tereza hat Pascal.« Tereza und ihre Freundin leben seit mehr
als vier Jahren zusammen.
»Wahrscheinlich hast du Recht.« Glass sieht nachdenklich aus
einem der grün leuchtenden Fenster. »Weißt du, du hättest sie
sehen müssen, als sie mir damals aus der Patsche half.
Mindestens einmal pro Woche stand sie vor der Tür, und immer
sah sie irgendwie… verweht aus. Ihre roten Haare waren so
zerzaust, weißt du. Und dann die grauen Augen, so
herausfordernd – ich war wirklich von ihr beeindruckt. Sie hat
sich unendlich um mich bemüht. Anfangs war sie jedes Mal
bepackt mit Stapeln von Papieren. Dann kam sie immer
häufiger einfach so zu Besuch, zwischendurch. Zu dieser Zeit
war sie natürlich schon bis über beide Ohren in mich verliebt.«
Das ist lange her. Ich weiß, dass meine Mutter sich nie auf ein
Verhältnis mit Tereza eingelassen hat: Tereza steht nicht auf der
Liste. Keine Frau steht auf der Liste.
Glass sieht auf ihre Uhr, stürzt hastig den Rest des Tees
hinunter und steht auf. »Ich muss los.«
»Viel Spaß heute Abend.«
»Ganz bestimmt.« Sie streicht ihren Rock glatt, fährt mir mit
einer Hand durch die Haare und schwebt aus der Küche. »Aber
noch nicht zu viel.«
»Klingt, als wäre es was Ernstes.«
»Ich werde vierunddreißig, Darling«, ruft sie aus dem Flur.
»Da macht sich eine Frau Gedanken.«
Ich warte, bis die Haustür zugefallen ist und ich den Motor
des Wagens anspringen höre, dann kippe ich den Rest des
Frühstücks in den Mülleimer und gehe nach oben, um meine
Tasche zu packen.
Als ich an der spaltbreit offen stehenden Tür des
Badezimmers vorbeikomme, sehe ich hinein – vorsichtig.
Obwohl man Glass weiß Gott nicht unterstellen kann, uns
Schamgefühle anerzogen zu haben, mag Dianne es nicht, wenn
man sie nackt sieht.
Bewegungslos, mit schlaff herabhängenden Armen, steht
meine Schwester unter dem dünnen Wasserstrahl der Dusche,
die Augen geschlossen, das glatte braune Haar im Nacken
klebend. Glass hat Recht gehabt, Dianne ist wahnsinnig dünn.
Ich erschrecke über ihre abgemagerte Gestalt, die sie sonst so
geschickt unter weiten Kleidern und Pullis zu verbergen weiß.
Gleichzeitig finde ich sie wunderschön. Die hervorstehenden
Beckenknochen fangen das herablaufende Wasser auf wie eine
Schale und leiten es zwischen ihre Beine. Die Brüste sind klein
und leuchtend weiß, kaum wahrnehmbar mit Ausnahme der
dunklen, winzigen Brustwarzen. Über das linken Schlüsselbein
zieht sich, am Hals beginnend und vor dem Schultergelenk
endend, eine fingerlange, rote Narbe.
»Denkst du manchmal noch dran?« Dianne hat die Augen
geöffnet und sieht mich durch den Vorhang aus Wasser an. »An
die Schlacht, und an den Brocken?«
»Manchmal, ja.« Meine Stimme klingt brüchig. Ich fühle
mich ertappt. Ich schäme mich dafür, hier zu stehen und
heimlich meine Schwester zu beobachten.
»Hau ab, Phil.« Sie hebt eine Hand und legt sie schützend
über die flammende Narbe, als sei dies die einzige Blöße, die es
zu

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