Andreas Steinhofel
Bewegung mit dem Arm.
»Im Wald.«
Wir hielten uns dicht an den Rand des Flusses, wo der Boden
weich war und so dicht und verschlungen bewachsen wie ein
Urwald. Die erhitzte Luft war lebendig von herumschwirrenden
Insekten. Noch vor einem Jahr, schoss es mir durch den Kopf,
hätte Dianne nur die Hand ausstrecken müssen, damit Käfer und
Schmetterlinge sich friedlich darauf niederließen. Sie hatte eine
fast unheimliche Anziehungskraft auf alle möglichen Tiere
ausgeübt, bis Glass ihr Einhalt gebot, in einer Nacht, an die ich
nur ungern zurückdachte. An Diannes Liebe zu Pflanzen hatte
das allerdings nichts ändern können.
Dianne benutzte ihren Bogen dazu, uns eine Bresche in die
widerspenstigen Gewächse zu schlagen und Durchlass zu
verschaffen. »Mädesüß, Baldrian, Beinwell«, zählte sie die
Namen der würzig duftenden Pflanzen auf, die Tereza uns
während ausgedehnter Spaziergänge beigebracht hatte,
»Springkraut, Pestwurz – Petasites hybrides., aber nur noch die
Blätter.«
Eine Viertelstunde lang kämpften wir uns durch das Gestrüpp.
Dann starrte uns von der gegenüberliegenden, nur fünf Meter
entfernten Uferseite aus seiner tiefschwarzen Höhle heraus das
Große Auge an. Über dem Fluss ragte das Rohr in Mannshöhe
aus der Mitte eines spärlich bewachsenen, sandigen Hügels. Der
Hügel war künstlich angelegt, er diente dem einzigen Zweck,
das Rohr zu tragen, aus dem im Frühjahr Schmelzwasser schoss
wie Lava aus einem Vulkan. Jetzt, im Sommer, war der Bach zu
kaum mehr als einem Rinnsal geschrumpft, das lustlos in den
Fluss plätscherte.
»Wir müssen zur anderen Seite.«
Wir ließen Schuhe und Strümpfe am Ufer zurück und wateten,
die Füße bis zu den Waden im klaren Wasser, auf das Große
Auge zu. Auf dem Grund huschten von Zeit zu Zeit einzelne
Elritzen unter flachen Steinen hervor. Je näher wir dem
kraterförmigen Trichter kamen, den der aus dem Rohr fallende
Bach in das Flussbett gegraben hatte, desto tiefer wurde das
Wasser. Bald reichte es uns bis über die Knie und leckte am
Saum von Diannes dünnem, weißem Sommerkleid.
Sie hob eine Hand. »Nicht weitergehen!«
Vorsichtig trat ich neben sie an den Rand des Trichters. »Da
ist eine«, flüsterte ich. »Eine große!«
Wie schwerelos schwebte der dunkle Fisch in halber Höhe der
feinkiesigen Mulde. Er wedelte träge mit der Schwanzflosse.
Von Zeit zu Zeit kippte er kurz auf die Seite, seine Schuppen
fingen dann das Sonnenlicht und glänzten in rosigem Silber.
»Eine Regenbogenforelle!«
Dianne nickte nur, sie ließ den Fisch keine Sekunde aus den
Augen. Konzentriert richtete sie den Bogen aus, den Pfeil auf
der Sehne.
»Triffst du sie?«
»Genau in der Mitte. Beweg dich nicht.«
Sie hatte von Physik genauso wenig Ahnung wie ich; sie
wusste nicht, dass Wasser das Licht bricht. Der Pfeil schnellte
geräuschlos von der Sehne und verfehlte sein Ziel um mehrere
Zentimeter. Er riss eine Spur kleiner Luftblasen mit sich unter
die Wasseroberfläche, sie wirbelten wild umeinander, als der
Fisch mit einem letzten rosigen Schimmern davonblitzte.
»Mist!«, zischte Dianne.
»Ich dachte, du hättest geübt.«
Ein gutes Stück von uns entfernt tauchte der Pfeil wieder auf.
Er kreiselte kurz auf der Wasseroberfläche, bevor die Strömung
ihn ergriff und langsam davontrug. »Ich hab nur den einen. Ich
hol ihn mir wieder.«
Weiter flussabwärts wurde das Wasser flacher, dort befand
sich eine breite Furt, ausgelegt mit Kopfsteinen, über die in
früheren Zeiten Pferdefuhrwerke gepoltert waren. Unmittelbar
hinter der Furt knickte der Fluss nach links ab; die ihn
säumenden Schwarzerlen und hohes, in dichten Büscheln
stehendes Schilf verbargen seinen weiteren Verlauf.
Ich folgte Dianne bis zu der Furt, über die der Pfeil bereits
fröhlich hinweggetippert war. Dahinter wurde das Wasser
wieder tiefer, der Untergrund steiniger. Ich blieb stehen und sah
lachend zu, wie sie mit gerafftem Kleid, den Bogen in einer
Hand, durch den Fluss platschte und an Metern aufholte. Sie
hatte die Biegung noch nicht erreicht, als eine schrille Stimme
über das Wasser schallte.
»Da sind die Bälger von der Dreckfotze!«
Mein Kopf flog in den Nacken, erschreckt drehte ich mich
um. Auf dem Hügel über dem Großen Auge standen mehrere
Kinder. Sechs mochten es sein oder auch sieben, es war schwer
auszumachen, da sie die Sonne im Rücken hatten und ihre
Gestalten im Gegenlicht miteinander verschmolzen.
Unverkennbar war
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