Andreas Steinhofel
beherrscht sie – es ist jetzt ihr Stück. Und Kat teilt nicht gern.
Was sie einmal mit Beschlag belegt hat, was sie erobert, was ihr
gehört, lässt sie nicht mehr los – besonders dann nicht, wenn sie
dafür einen hohen Einsatz erbringen musste. Sie kann aufrichtig
freigebig oder sogar großzügig sein, doch in den meisten Fällen
verschenkt sie nur, um anschließend mehr zu besitzen. »Mit dir
ist das anders«, wird sie nie müde zu beteuern. »Weißt du noch,
wie ich dir mein Nachthemd gegeben habe, Phil? Niemandem
sonst auf der Welt…« Vielleicht entspricht das der Wahrheit.
Vielleicht hatte Kat in jener Nacht, als sie in Halsnasenohren
einen Leidensgefährten suchte und stattdessen einen
Seelenverwandten fand, mir ihr Nachthemd aus einer Art
intuitiver Dankbarkeit heraus überlassen. Meine Zuneigung aber
ist ihr, dessen bin ich mir sicher, nur deshalb so viel wert, weil
sie lange dafür kämpfen musste – nicht mit mir, sondern mit
ihren Eltern. Früher oder später bekommt Kat immer, was sie
haben will. Bedeutet das, den heiligen Krieg ausrufen zu
müssen, erhöht es für sie nur den Reiz. Hat sie schließlich eines
ihrer selbst gesteckten Ziele erreicht, zeigt sie sich oft rasch
gelangweilt; sie kann das Interesse daran dann so plötzlich
verlieren wie ein Kind, das ein neu erworbenes Spielzeug nach
kurzem Gebrauch in die Ecke wirft. Wo es liegen bleibt, aber
nicht vergessen wird: Was auch immer nach Abschluss der
Kampfhandlungen in Kats Besitz übergegangen ist, bleibt bis
auf Widerruf ihr unveräußerliches Eigentum.
Selbst ihre letztjährige Winteraffäre mit Thomas passt in
dieses Schema. Aus purer Neugier hat Kat für kurze Zeit ihren
Körper, vielleicht auch ihre Träume, mit Thomas geteilt. Doch
ich bin mir sicher, dass sie dabei immer ein wenig neben sich
gestanden und die flüchtige Beziehung mit dem nüchternen
Blick einer Wissenschaftlerin beobachtet hat, die ein
Experiment überwacht. Später verkündete sie mit der ihr
eigenen Arroganz, immerhin habe sie die Gnade besessen,
Thomas niemals mitzuteilen, dass er in ihrem Leben nur wenig
mehr als die Rolle einer Laborratte gespielt hatte. In diesem
Augenblick sah ich sie vor mir, wie sie, aus ihrem verdunkelten
Zimmer heraus, hinter Gardinen verborgen, tief befriedigt
beobachtete, wie Thomas, noch Wochen nachdem sie ihm den
Laufpass gegeben hatte, nachts um das Haus ihrer Eltern
herumstrich, wo seine unerfüllte Leidenschaft Löcher in den
Schnee brannte: ein verirrter Mondsüchtiger auf der Suche nach
seinem Herzen, das das blonde Mädchen dort oben hinter den
Gardinen in den Händen hielt.
Kat behauptet, dass Thomas ihr inzwischen nichts mehr
bedeutet, doch ich bin fest davon überzeugt, dass sie auf jedes
Mädchen, das sich ihm bis auf weniger als drei Meter zu nähern
wagt, mit unverhohlener Eifersucht und einer blutigen
Verteidigungsschlacht reagieren würde. Thomas hat ihr einmal
gehört, und deshalb gehört er ihr für immer. Oder so lange, bis
seine Gefühle für sie abkühlen. Oder so lange, bis Kat
entscheidet, ihn freizugeben. Mit Eitelkeit hat das nichts zu tun.
Dass Thomas sich noch immer regelrecht nach ihr verzehrt,
erfüllt sie lediglich mit der stillen, kaum bewussten
Zufriedenheit, die man Selbstverständlichkeiten
entgegenzubringen pflegt, und es ist genau diese Eigenart Kats,
die mich jetzt verunsichert. Ich falle nicht in die Kategorie
langweiliges Spielzeug. Ich bin die Ausnahme, die seit Jahren
die Regel bestätigt, aber gerade deshalb fürchte ich mich vor
Kats Eifersucht, davor, sie könnte glauben, mich an Nicholas zu
verlieren oder als Freundin an die zweite Stelle zu rücken. Aus
diesem Grund halte ich, nachdem die letzten Töne verklungen
sind und sie die Geige absetzt, meinen Mund.
»Du spielst gut«, sage ich anerkennend. »Ich schätze, wenn du
wolltest, könntest du eine außergewöhnliche Musikerin
werden.«
»Außergewöhnlich, hm?«, wiederholt Kat langsam. Die Haare
fallen ihr ins Gesicht, als sie sich bückt, um Instrument und
Bogen in den dazugehörigen Koffer zu packen. Sie klappt den
Verschluss zu und sieht auf. »Glaubst du an außergewöhnliche
Menschen?«
Ich zucke die Achseln. »Ich glaube an Begabung.«
»Begabung allein reicht nicht aus, um einen besonderen
Menschen aus dir zu machen. Einen, der wirklich anders ist als
andere.«
»Wie zum Beispiel wer?«
»Glass«, sagt sie.
Ich schüttele den Kopf. »Glass mag anders sein als eine
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