Andular III (Das Erbe der Schicksalsweber) (German Edition)
Cale, außer sich vor Wut und riss sich von ihm los. Dann sprang er über den Durandi hinweg, der ihn nicht mehr zu packen bekam, und hetzte um den Felsbrocken herum.
Jesta griff sofort nach Lumeos, sprang auf und eilte ihm nach. Er wusste, jetzt konnten sie den Slagramul nicht mehr entkommen, jetzt mussten sie kämpfen und sie würden verlieren.
Mit einem Schrei aus Wut und blanker Verzweiflung, Lumeos wild umher schwingend, dessen Klinge hungrig surrte, schnellte er um den Felsbrocken, doch was er dann sah, machte ihn auf einen Schlag bewegungsunfähig, sodass er wie angewurzelt stehen blieb. Es war das Unglaublichste, was er jemals gesehen hatte, obgleich er schon viele unglaubliche Dinge gesehen hatte in den letzten Wochen. Der Anblick schien ihn geradezu zu überfordern, als würden ihm seine Augen einen Streich spielen. Es konnte einfach nicht wahr sein und dennoch sah er richtig. Nur wenige Meter vor ihm, ebenfalls wie erstarrt, stand Cale, der mit weit aufgerissenen Augen auf eine Gruppe von nicht weniger als zwölf Slagramul starrte, die alle auf einem Galurk saßen, von denen das vorderste seine Zunge schon auf den Jungen losgelassen hatte. Es war nicht einmal eine Armlänge, die die Zungenspitze von Cales Gesicht trennte. Doch, und das war das Unglaubliche, der Abstand verringerte sich nicht. Die Zunge verharrte regungslos in der Luft und das Galurk, aus dessen Maul die Zunge ragte, konnte sich diese Tatsache wohl auch nicht recht erklären. Ihre großen, wässrigen Augen wanderten unruhig umher, als ob sie nach der Ursache des seltsamen Zustandes suchten, doch die stand gut zehn Meter hinter der Gruppe der Slagramul und trug ein wehendes, dunkelgrünes Gewand. Den Stab in der rechten Hand, die linke geradeaus auf die Slagramul gerichtet, stand dort der Vanyanar.
„Nimm Cale und trete ein paar Schritte zurück, Jesta!“, rief Jindo und seine Stimme klang kalt und bestimmend.
Jesta tat, was er sagte und griff an Cales Schulter, doch der Junge, steif wie ein Brett, bewegte sich nicht, sondern kippte lediglich ein Stück nach hinten, sodass Jesta ihn auffangen musste, um ihn einige Meter zurück zu schleifen.
„Das ist genug!“, rief Jindo und dann, die linke knochige Hand weiterhin auf die Slagramul gerichtet, schlug er die Spitze seines Stabes auf den Boden, der darauf unter den Galurks zu beben begann.
Jesta sah die Panik in den Augen der Slagramul, die offensichtlich immer noch nicht imstande waren sich zu bewegen und genau so wie er abwarteten, was jetzt wohl passieren würde. Sie mussten nicht lange warten. Aus dem Boden, zunächst kaum sichtbar und nicht als das zu erkennen, was es eigentlich war, wuchsen plötzlich unzählige Wurzelstränge empor, die immer dicker und fester wurden, wie Schlangen, die sich um ihre Opfer winden, um ihnen das Leben aus dem Leib zu pressen. Und genau das taten sie auch. Erst schlangen sie sich in rasanter Geschwindigkeit um die Beine der Galurks, dann umwickelten sie die Oberkörper der Slagramul, um deren Hälse sie sich schließlich erbarmungslos festzogen. Die Würgegeräusche der Kreaturen waren schrecklich und am liebsten hätte sich Jesta die Ohren zugehalten, wenn seine Hände nicht gerade unter Cales Armen gesteckt hätten.
Der Vanyanar ließ seinen Stab nun ein weiteres Mal auf die Erde donnern, worauf sich die Wurzeln augenblicklich wieder in den Boden zurückzogen, während sie weiter an ihren Opfern festhielten. Kurz darauf lagen alle Slagramul tot am Boden, ebenso ihre Reittiere, deren trübe Augen erschreckend weit aus ihren Höhlen ragten. Erst jetzt lösten sich die dünnen Enden der Wurzeln und verschwanden zurück unter die Erde. Und das war der Moment, in dem Cale wieder die Kontrolle über seinen Körper erlangte. Und das kam sowohl für Jesta als auch für ihn so überraschend, dass er vor Schreck in die Knie ging und den völlig verblüfften Durandi mit sich hinunter zog, der daraufhin über ihn fiel und hart mit der Seite aufschlug. Jesta biss die Zähne zusammen, als der Schmerz eintrat und in seinem Kopf zu einem dumpfen Pochen anschwoll, doch als er über den staubigen Boden, an den Slagramul vorbei, zu dem Vanyanar hinübersah, war der Schmerz auf der Stelle vergessen. Jindo hockte, eine Hand auf den Boden gestützt, die andere in seine Brust gekrallt, mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Knien und stieß ein fürchterliches Wimmern aus.
Cale stieß den Durandi zur Seite, sprang auf und lief dem erschöpften Vanyanar entgegen.
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