Andular (Noirils Verrat) (German Edition)
von seiner Pritsche zu erheben und kam auf die Gitterstäbe zu. Im Schein der Fackel, die schon fast heruntergebrannt war, erkannte Jesta einen dürren, heruntergekommenen Mann, mit strähnigen Haaren, die ihm wirr ins Gesicht fielen. Einen seiner Arme über den Kopf gehoben lehnte er sich gegen das Gitter, während seine andere Hand einen Krug umklammerte, an dem er ab und zu nippte. Dann pustete er sich die Haare aus dem Gesicht, wobei Jesta den schlechten Atem des Mannes bis in seine Zelle riechen konnte und sich angewidert zur Seite drehte.
„Du bist wohl schon eine ganze Weile hier unten, was?“, fragte Jesta, worauf der Mann ein breites Lächeln auflegte, sodass seine wenigen, dafür aber umso fauligeren Zähne zum Vorschein kamen.
„Allerdings. Übermorgen werden es vier Jahre. Ich hoffe, du wirst dieses Ereignis ausgiebig mit mir feiern, he?“
„Also um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass ich bis dahin wieder die Strahlen der Sonne zu spüren bekomme und mich zu Hause in meiner Hängematte rekeln kann“, antworte Jesta, doch in seiner Stimme lag ein Hauch Hoffnungslosigkeit.
Der Mann lachte spöttig. „Es kommt darauf an, was du verbrochen hast, mein Freund, und wie der Große Rat darüber entscheidet. Und glaub mir, der Rat ist nicht besonders gnädig!“
„Eigentlich hätte ich mir meinen Aufenthalt hier unten ersparen können“, seufzte Jesta und fing an ihm die Ereignisse der vergangenen Stunden zu schildern. Als er erzählte, wie Crydeol auf seine Erwähnung Noirils reagiert hatte, starrte sein Gegenüber ihn mit großen Augen an. Dann nickte er Jesta nachdenklich zu und sagte mit gedämpfter Stimme: „Was weißt du über den singenden Bogen und denjenigen, in dessen Besitz er sich befindet?“
„Nun ja, eigentlich nur das, was alle wissen. Den ganzen sagenhaften Kram, den man sich auf Vaskaan schon seit Jahren erzählt, und den selbst die Stammeseltesten aus meinem Dorf kennen.“
Sein Gegenüber nickte und sprach: „Aber die Geschichten, die man über Noiril erzählt, und über Renyan, seinen Besitzer, sind wahr! Noiril ist kein normaler Bogen, nein, er ist eine magische Waffe. Eine Waffe die Oduryon, Renyans Vater, einst gefertigt hat. Mithilfe eines Talani, mit dem er gut befreundet war, so sagt man. Und man sagt auch, dass nur jemand aus Oduryons Familie in der Lage wäre, diesen besonderen Bogen zu führen.“
„Angeblich sollen seine Pfeile im Stande sein jedes Ziel zu treffen. Egal ob starr oder beweglich“, flüsterte Jesta.
„Ja, das stimmt. Aber nicht jeder Pfeil kann dafür verwendet werden. Die Pfeile für Noiril haben keine Feder, die den Pfeil in der Luft stabilisieren. Es sind nur schwarze Pfeile mit blanker Spitze. Und jedes Mal wenn Noiril einen Pfeil freigibt, ertönt ein klares, hohes Surren. Deswegen nennt man ihn auch den singenden Bogen“, fügte der Mann hinzu.
Jesta, dessen Gemütszustand sich wieder normalisiert hatte, erkundigte sich nun nach dem Namen des Mannes und befragte ihn über den möglichen Grund für Crydeols plötzlichen Zorn.
„Mein Name ist Varsil, und um deine Frage zu beantworten, so hast du dir die Antwort am Anfang deiner Erzählung bereits selbst gegeben. Es war, wie du schon sagtest, ein Pfeil Noirils der Jaldor, unseren letzten König, getroffen und tödlich verwundet hat. Und Jaldor war seinerzeit ein guter und väterlicher Freund Crydeols. Und er war wiederum wie ein Sohn für ihn, ein Sohn, den Jaldor nie hatte. Du weißt bestimmt, dass die Königin damals ein Mädchen zur Welt brachte und das für große Aufregung im ganzen Königreich gesorgt hat. Denn vaskaanische Könige können nur männliche Nachfahren zeugen! Bis vor Inoels Geburt hieß es das jedenfalls.“
„Das hat ihn also so verärgert“, murmelte Jesta nachdenklich. „Meine Erwähnung des Bogens hat in ihm schmerzliche Erinnerungen geweckt.“
„Vor allem aber erweckte es wieder seinen Hass gegen den Mann, den er seit jenem Tag für den Tod Jaldors verantwortlich macht.“
„Renyan? Aber es hätte doch auch ein anderer seiner Familie getan haben können, oder?“, fragte Jesta und kratzte sich am Ohr. „Und was hätte Renyan schon von Jaldors tot?“
„Könnte, könnte, könnte“, rief Varsil, als ob er keinen Sinn mehr darin sähe, noch weiter über dieses Thema zu diskutieren. Er wandte sich von dem Durandi ab und leerte seinen Krug in einem Zug. „Tatsache ist jedoch, dass Renyan seit jenem Tag auf ganz Vaskaan gesucht wird, ja sogar auf Talint,
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