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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Lächeln war vergangen. Joes ruhige Entschlossenheit zeigte, dass er wirklich meinte, was er sagte. Charlie folgte dem Blick seines Bruders zur Koppel, wo Satan im silbrigen Gras weidete, und wusste, dass dies der Augenblick des Abschieds war. Aber jetzt, da er gekommen war, zögerte er mit dem nächsten Schritt. »Das alles wird noch hier sein, wenn der Pferdeauftrieb vorüber ist«, sagte er hastig. »Komm jetzt mit, Joe, und wenn es nichts wird, kannst du immer noch zurückkehren.«
    Joe schüttelte den dunkelhaarigen Kopf. »Ich gehe nicht mehr weg, Charlie. Tut mir Leid.«
    Lange Zeit standen die Zwillinge einander schweigend gegenüber, jeder in eigenen Gedanken versunken. Sie hatten beide noch Zeit, sich die Sache anders zu überlegen. Aber sie hatten erkannt, dass jeder seiner eigenen Bestimmung folgen musste, und keiner von ihnen fand die richtigen Worte, um auszudrücken, wie schmerzhaft diese Einsicht war.
    Charlie strich sich das Haar zurück. Es war wieder lang gewachsen und glänzte in der Sonne. »Ich breche morgen vor Sonnenaufgang auf«, sagte er schließlich. »Wenn du’s dir noch anders überlegen solltest   …« Hoffnungsvoll schaute er seinen Zwillingsbruder an; vielleicht würde der ja die bange Erwartung in seinem Blick lesen.
    Joe nahm Charlie in die Arme, und die widerstreitenden Empfindungen in Charlies Brust machte ihm das Sprechen schwer. Er schlug seinem Bruder auf den breiten, muskulösenRücken und drückte ihn an sich. Er dachte an die gemeinsame Kindheit und den langen Treck, der sie so weit gebracht hatte.
    »Gib nur Acht auf dich da draußen.« Joes Stimme klang schroff, und unbeholfen lösten sie sich voneinander. »Und lass von dir hören. Du bist immer noch mein Bruder, und ich will dich nicht verlieren.«
    Charlie wandte sich ab und ging auf die Schlafbaracke zu. Ihr gemeinsames Leben war vorüber, und auch wenn die Abenteuerlust tief saß, sehnte sich ein Teil seiner selbst doch danach, so zu sein wie sein Bruder. Sehnte sich nach der Zufriedenheit und inneren Ruhe, die Joe in sich zu tragen schien. Aber Charlie sah auch ein, dass sie sich trennen mussten, denn wenn sie etwas aus sich machen wollten, konnte das nur jeder für sich.
    Joe hatte sich vorgenommen, am nächsten Morgen früh aufzustehen, um sich von Charlie zu verabschieden, aber nachdem er den ganzen Tag über Futter verladen und Zaunpfähle eingegraben hatte, war er ins Bett gegangen und hatte mehr als neun Stunden lang tief und fest geschlafen. Jetzt strahlte die Sonne durch eine leere Schlafbaracke, und die Wanduhr zeigte, dass es schon weit nach sieben war. Er sprang aus der Koje, zog sich Hose und Stiefel an und kämpfte mit den Hemdknöpfen. Waschen würde er sich später. Charlies Bett war leer, und sein Bündel hing nicht mehr am Bettpfosten – aber vielleicht war noch Zeit, ihn einzuholen. Vielleicht war es noch möglich, dass er es sich anders überlegte.
    Joe stieß polternd die Tür der Schlafbaracke auf und stürzte in den Hof. Charlies Pferde waren nicht mehr auf der Koppel. Er kam zu spät. Es war, als wolle die helle Morgensonne ihn verspotten. Niedergeschlagen schlenderte er über den Hof zum Kochhaus.
    Die Aborigines saßen wie immer um ihr Feuer; ihre dunkle Haut schluckte die Sonne, und sie wirkten wie Negativbilder vordem roten Hintergrund des Hofes. Ihre Blicke folgten ihm; ein paar ihrer Kinder spielten mit den struppigen Camp-Hunden im Staub, und ihre schrillen Schreie und ihr Lachen wehten im Wind herüber. Aber Joe nahm ihre fröhliche Begrüßung kaum zur Kenntnis. Es war, als habe der Abschied seines Zwillingsbruders ihm einen Teil seiner selbst geraubt, und die große Lücke, die er hinterlassen hatte, würde sich niemals schließen lassen.
    Die Hütepferde und der Allradwagen waren nicht mehr da, und Joe sah, dass die Männer der Rumpfmannschaft, die auf Warratah geblieben war, schon draußen auf den Weiden waren und die Arbeit an den Zäunen vollendeten, die sie am Tag zuvor begonnen hatten. Rauch kräuselte sich träge aus dem Kamin des Farmhauses, und ein barfüßiges schwarzes Hausmädchen hängte draußen Wäsche auf. Aurelia und Ellie frühstückten auf der Veranda. Kellys weißes Gefieder leuchtete im Schatten, während der Vogel sich putzte. Aber das nachhaltige Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ließ Joe stocken und stehen bleiben. Alles sah aus wie immer, und doch   … Er drehte sich langsam um und betrachtete die inzwischen schon vertraute Umgebung, um sie mit seiner

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