Ange Pitou, Band 2
denn man geht nicht umsonst in die Bastille.
Es scheint doch, da ich daraus komme.
Herr von Necker schickt Sie mir, und der geheime Verhaftsbrief war von ihm unterzeichnet.
Allerdings.
Dann erklären Sie sich besser. Durchgehen Sie Ihr Leben und sehen Sie, ob Sie nicht irgend einen Umstand darin finden, den Sie vergessen haben.
Mein Leben durchgehen! Ja, Sire, ich werde es thun, und zwar laut; seien Sie unbesorgt, es wird nicht lange dauern. Ich habe seit dem Alter von sechzehn Jahren ohne Unterlaß gearbeitet; ein Zögling von Jean-Jacques, eine Gefährte von Balsamo, ein Freund von Lafayette und Washington, habe ich mir seit dem Tage, wo ich Frankreich verlassen, nie ein Vergehen oder auch nur ein Unrecht vorzuwerfen gehabt. Als die erlangte Wissenschaft mir die Verwundeten oder Kranken zu behandeln erlaubte, dachte ich immer, ich sei von jeder meiner Ideen, von jeder meiner Handlungen Rechenschaft schuldig vorGott. Da mir Gott Geschöpfe anvertraut hatte, so vergoß ich als Wundarzt das Blut aus Menschlichkeit, bereit, das meinige hinzugeben, um meinem Kranken Linderung zu verschaffen oder ihn zu retten; als Arzt war ich immer Tröster, zuweilen Wohlthäter. So sind fünfzehn Jahre vergangen. Ich habe die Mehrzahl der Leidenden zum Leben zurückkehren sehen; sie küßten mir die Hände. Nein, ich sage Ihnen, Sire, seit dem Tage, wo ich Frankreich verlassen, und das sind fünfzehn Jahre, habe ich mir nichts vorzuwerfen.
Sie pflogen in Amerika Umgang mit den Neuerern, und durch Ihre Schriften sind deren Grundsätze verbreitet worden.
Ja, Sire, und ich vergaß dieses Recht, das ich mir auf die Dankbarkeit der Könige und der Menschen erworben habe.
Der König schwieg.
Sire, fuhr Gilbert fort, nun ist Ihnen mein Leben bekannt; ich habe niemand beleidigt oder verwundet, ebensowenig einen Bettler, als eine Königin, und ich frage Eure Majestät, warum man mich bestraft hat.
Ich werde mit der Königin sprechen, Herr Gilbert; doch glauben Sie, daß der Geheimbrief unmittelbar von der Königin kommt?
Ich sage das nicht, Sire, ich glaube sogar, daß die Königin nur die Randbemerkung gemacht hat.
Ah! Sie sehen wohl, rief der König ganz freudig.
Ja; doch Sie wissen, Sire, daß eine Königin befiehlt, wenn sie eine Randbemerkung macht.
Und von wem ist der Brief mit der Randbemerkung? Lassen Sie sehen!
Ja, Sire, sehen Sie, sagte Gilbert.
Und er reichte ihm das Blatt aus dem Gefängnisregister.
Gräfin von Charny! rief der König; wie, sie hat Sie verhaften lassen! aber was haben Sie denn dieser armen Charny gethan?
Ich kannte heute morgen diese Dame nicht einmal dem Namen nach, Sire.
Ludwig fuhr mit der Hand über seine Stirne.Charny, murmelte er, Charny, die Sanftmut, die Tugend die Keuschheit selbst!
Sie werden sehen, Sire, sprach Gilbert lachend, ich bin auf Verlangen von drei göttlichen Tugenden in die Bastille gesteckt worden.
Oh! ich muß hierüber im klaren sein, sagte der König.
Und er zog an einer Klingelschnur.
Ein Thürhüter trat ein.
Man sehe nach, ob die Gräfin von Charny bei der Königin ist, befahl Ludwig.
Sire, antwortete der Thürhüter, ich habe die Gräfin soeben durch die Gallerie gehen sehen; sie ist im Begriff, in den Wagen zu steigen.
Laufen Sie ihr nach und bitten Sie sie, in einer wichtigen Angelegenheit in mein Kabinett zu kommen.
Dann wandte er sich gegen Gilbert um und fragte:
Ist es das, was Sie wünschten, mein Herr?«
Ja, Sire, antwortete Gilbert, und ich danke Eurer Majestät tausendmal.
Die Gräfin von Charny.
Bei dem Befehl, die Gräfin von Charny kommen zu lassen, zog sich Gilbert in eine Fenstervertiefung zurück.
Der König ging in dem Saal des Oeil-de-Boëuf auf und ab, in seinem Innern bald mit den öffentlichen Angelegenheiten, bald mit dem Zudrängen von Gilbert beschäftigt, dessen seltsamem Einfluß er in diesem Augenblick unterlag, wo ihn außer den Nachrichten von Paris nichts hätte interessieren sollen.
Plötzlich wurde die Thüre des Kabinetts geöffnet; der Thürhüter meldete die Frau Gräfin von Charny, und Gilbert konnte durch die nahe zusammengezogenen Vorhänge eine Frau erschauen, deren weite seidene Gewänder den Thürflügel streiften.
Diese Frau trug nach der Mode der Zeit ein Nachtkleid von grauer Seide, einen ähnlichen Rock, eine Art von Shawl,der, hinter der Taille zusammengeknüpft war und ganz außerordentlich die Vorzüge einer reichen, schön gebauten Brust zeigte.
Ein kleiner, zierlich auf dem Ende einer hohen Frisur
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