Angel 01 - Die Engel
abgeschnitten fühlte.
Während sie wartete, kam der Mond hinter den Wolken hervor und schien durch das große, runde Buntglasfenster über dem Altar, so dass die Kathedrale farbig erleuchtet wurde.
Das verlieh dem Ort eine unheimliche Atmosphäre. Vanessa ließ sich auf die Hacken sinken und packte die Pistole mit beiden Händen. Sie fragte sich, wie Danny sich wohl gerade fühlte. Er war es, der das tödliche Feuer spenden musste, das den gefallenen Engel zerstören würde. Wenn er scheiterte, waren sie alle gescheitert, denn es gab keinen anderen Weg, diese Kreatur loszuwerden. Nethru würde sie bestimmt ohne jeden Skrupel töten, wahrscheinlich sogar mit Genuss, wenn der Flammenwerfer ihn nicht erwischte.
Vanessa sah sich in der Kapelle um, die in gedämpfte Farben getaucht war. Das Tabernakel wurde von zwei Seiten angestrahlt, einerseits von den Altarkerzen und andererseits vom Mondlicht, das durch das John-F.-Kennedy-Gedenkfenster darüber fiel. Die Szene schien eine Art hoffnungsvollen Frieden auszustrahlen. Und da fragte sie sich: Würde der Dämon es überhaupt wagen, eine Kirche zu betreten? Immerhin war es ein Gotteshaus. Vielleicht war man hier drin vor der Kreatur geschützt?
Dann wurde ihr klar, dass das genau der Grund war, warum Dave sie hier drin postiert hatte.
Verdammtes Mannsbild, dachte sie. Warum musste er immer so beschützend sein? In dieser Hinsicht war er so altmodisch und klammerte sich an diese blöden Macho-Ideale. Warum konnte er nicht wie die modernen Männer sein, mit denen sie sonst ausging? Weil er Polizist war? Nein. Sie musste es sich eingestehen: Weil er sie liebte. Vielleicht war da ja gar nichts Schlimmes dran, aber Liebe sollte nicht allzu beschützend werden, sonst wurde sie erdrückend. Das würde sie ihm noch austreiben müssen in den Jahren, die ihnen gemeinsam noch blieben. Bis wir sechzig sind, wird er ein etwas moderneres Frauenbild haben, dachte sie kläglich.
Während Dave unter dem leeren Blick der Wasserspeier im Schatten eines Stützpfeilers wartete, dachte er über die Engel und Dämonen nach, mit denen er groß geworden war. Sie waren ganz anders als Nethru. Die Engel aus Daves Kindheit waren wie der steinerne neben dem nahen Grab, den er im Mondlicht sehen konnte: wunderschöne Frauen ohne Busen in griechischen, weißen Roben mit mächtigen, gefiederten Flügeln, die aus ihren Schulterblättern wuchsen. Die Dämonen aus seinen Kindertagen waren Kreaturen mit gespaltenen Hufen, schmalen Gesichtern, Ziegenaugen, Fledermausflügeln und natürlich Pfeilschwänzen und Hörnern.
Nethrus Aussehen hatte sich offenbar nicht verändert. Als Engel war er ein gut aussehender junger Mann gewesen. Als Dämon blieb er der Gleiche.
Dave fragte sich, ob er etwas sagen sollte, wenn er Nethru sah, etwa: » Du lachst über meinen Esel. Mein Esel mag es nicht, wenn man über ihn lacht«, entschied sich dann aber dagegen. Wenn er ehrlich war, machte er sich vor Angst fast in die Hose.
Der zweite Mann, der sich fast nass machte, war Danny. Er hockte hinter einem Grabstein und hielt sich bereit, um eine tödliche Flammenzunge auszustoßen. Er fühlte sich unbeholfen, dick und verletzlich. Im Moment wünschte er sich innigst, er läge eingekuschelt in seinem Bett, neben sich eine plumpe Frau namens Rita – aber es würde keine gemütlichen Nächte mit Rita mehr geben, nur immer mehr Beichten bei seinen drei Lieblingspriestern, wenn er nachts durch die Stadt gezogen war.
Scheiße, dachte Danny, ich wünschte, das Arschloch würde endlich kommen, und wir könnten es hinter uns bringen. So oder so.
28
Manovitch fand die Nachricht, als er gerade dabei war, Flugbenzin in Dave Peters’ Wohnung zu verteilen und Möbel, Teppiche und Vorhänge damit zu tränken. Er war über die Feuerleiter hochgestiegen und hatte dann ein Fenster aufgebrochen. Die Nachricht war an einem Besenstiel befestigt, der an der Wohnzimmertür lehnte. Er las sie im Licht seiner Taschenlampe. Die Nachricht war kurz. Sie lautete:
WIR TREFFEN UNS IN DER KIRCHE
Darunter eine Adresse.
Manny brach der Schweiß aus, und er stopfte sich den Zettel in die linke Hosentasche. Wie zur Hölle hatten sie wissen können, dass er kommen würde? Er hatte das hier zwar schon lange geplant, aber alles nur in seinem Kopf. Niemand wusste, dass er hier war. Er hatte keiner Menschenseele etwas gesagt.
Dann dachte er, dass seine erste Einschätzung vielleicht ein wenig voreilig gewesen war. Vielleicht war die Nachricht gar
Weitere Kostenlose Bücher