Angel 01 - Die Engel
zu schaffen, die, falls sie morgen tot umfallen sollte, bereits wieder voller Staub wären, noch bevor sie unter der Erde lag. In ihrer Familie hatte es eine Tante aus Schottland gegeben, die immer dafür gelobt worden war, wie hart sie daran arbeitete, dass ihr Haus sauber war. Anscheinend bestand darin das Lebenswerk dieser Dame, das man auf ihrem Grabstein verewigen sollte: IHR HAUS WAR STETS TADELLOS SAUBER. Wow!, dachte Daphne immer. Was für ein Nachlass an die Welt! Nein, danke, nicht für mich.
Jetzt musste jedenfalls alles per Hand gemacht werden: Nichts, was einen Motor hatte, funktionierte. Der Kühlschrank funktionierte nicht, die Waschmaschine funktionierte nicht, der Mixer funktionierte nicht und der Staubsauger auch nicht. Nichts funktionierte. Dementsprechend war alles etwas chaotisch.
Der einzige Platz in der Wohnung, wo der Staub sie wirklich nervte, war auf ihren Büchern. Die Bücher waren überall: auf den Regalbrettern, die fast die gesamte Wand bedeckten, in den Zimmerecken aufgestapelt, auf den Fensterbänken, neben dem Bett. Die neben dem Bett waren die Bücher, die gerade gelesen wurden. Daphne las immer vier bis fünf Bücher parallel. Manchmal Romane, manchmal Gedichte und manchmal Fachliteratur.
Rajeb, der kein großer Leser gewesen war, bevor Daphne bei ihm eingezogen war, hatte sich das Büchervirus von ihr eingefangen. Da Daphne den Großteil der Zeit den Kopf in ein Buch steckte, brauchte Rajeb auch eine Ablenkung. Fernsehen war auf die Dauer langweilig, also begann er ebenfalls die Seiten zu verschlingen. In seinem Fall handelte es sich dabei zwar hauptsächlich um Fantasy- und Actionstorys – er hatte eine besondere Vorliebe für amerikanische Polizeikrimis –, aber er las viel. Daphne gehörte nicht zu den Menschen, die über den literarischen Geschmack anderer die Nase rümpfen.
Rajeb war zum Markt gegangen, um frische Lebensmittel zu holen. Er hatte zu Fuß gehen müssen, da es seit dem Vorabend keine Verkehrsmittel mehr gab. Als es um elf Uhr an der Wohnungstür klingelte, dachte sie, er hätte seinen Schlüssel vergessen, und drückte ohne nachzudenken auf den Summer. Erst als sie die Schritte auf der Treppe hörte, wurde ihr klar, dass das nicht Rajeb war, sondern ein Fremder. Sie öffnete die Wohnungstür und sah dem Mann entgegen, der auf dem Weg nach oben war.
» Hallo, kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann zögerte und schaute zu ihr hoch. » Ja, ich bin gekommen, um mit Rajeb Patel zu sprechen. Musste den ganzen Weg laufen und bin fix und fertig.«
Daphne wollte diesem Mann nicht verraten, dass Rajeb nicht zu Hause war, also fragte sie: » Und wer will ihn sprechen?«
» Ich«, fauchte der Mann.
» Und wer sind Sie?«, hakte Daphne nach, der langsam etwas mulmig wurde.
» Stan Gates – Sergeant Stan Gates.«
Als sie den Namen hörte, den Rajeb einige Male erwähnt hatte, atmete Daphne erleichtert auf.
» Ah ja, Sie arbeiten mit Raj zusammen, nicht wahr?«
Gates schenkte ihr ein schiefes Grinsen. » So könnte man es nennen, man könnte aber auch sagen, ich bin sein Boss.«
» Das habe ich ja gemeint. Raj ist im Moment nicht zu Hause. Möchten Sie ihm eine Nachricht hinterlassen? Er ist nur kurz beim Einkaufen.«
Gates antwortete nicht. Er ging sehr langsam die letzten Stufen hoch, bis er oben angekommen war. Sein Atem ging schnell.
» Haben Sie schon mal daran gedacht, ins Erdgeschoss umzuziehen?«
» Uns gefällt es hier oben, da ist man weiter weg von der Hektik und dem Verkehrslärm«, erwiderte Daphne.
» Tja, im Moment ist da unten nicht viel Verkehrslärm, aber schätzungsweise jede Menge Hektik. Könnte ich für einen Moment reinkommen? Ich könnte jetzt eine Tasse Tee gebrauchen.«
Daphne musterte ihn schnell. Gates hatte einen Ton angeschlagen, der implizierte, dass er etwas ganz anderes meinte als Tee, aber als sie ihn scharf ansah, betrachtete er ein Bild an der Wand und wirkte völlig unschuldig.
» Na gut«, sagte sie schließlich. » Sie können drinnen auf Raj warten. Er sollte in ein paar Minuten zurück sein.«
» Danke.«
Gates betrat die Wohnung und sah sich um. » Viele Bücher«, bemerkte er. » Sind Sie ein Bücherwurm?«
» Ich bin Lehrerin, und ja, ich lese viel.«
» Ich habe nicht viel Zeit zum Lesen«, meinte er und benutzte damit die älteste Ausrede überhaupt, wenn man sich vor etwas drückte, von dem man eigentlich meinte, es tun zu müssen.
Das irritierte Daphne. Dann las er eben nicht viel – na und? Vielleicht war
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