Angel 01 - Die Engel
auszuziehen.
» Was machst du da?«, schrie sie und packte sein Handgelenk.
» Dich umziehen. Diese Sachen sind total zerfetzt. Und dann bringe ich dich zum Arzt.«
Sie berührte vorsichtig ihre Brust. Sie tat weh. » Ich habe nur ein paar blaue Flecken, mehr nicht. Da kann mir ein Arzt auch nicht helfen.«
» Ich will, dass er die Blutergüsse sieht.«
Sie half ihm dabei, sie umzuziehen, dann sagte sie: » Ich will da nicht hin. Das bringt doch nichts. Du weißt doch selbst, wie viele Vergewaltigungen es gar nicht erst bis vor Gericht schaffen. Du weißt, wie selten Vergewaltiger verurteilt werden. Und ich wurde noch nicht einmal vergewaltigt.«
» Dann kriegen wir ihn eben wegen Körperverletzung dran. Er hat dich schließlich angegriffen, oder nicht?«
» Ja, er hat mich angegriffen, aber du weißt doch, was er sagen wird. Er wird denen sagen, ich hätte ihn provoziert. Er wird behaupten, ich hätte ihn angemacht und es mir dann anders überlegt, bevor er es durchziehen konnte. Du weißt doch, wie Tatsachen verdreht werden können. Wie das dann klingt, wenn alle ganz ruhig und ernst im Gerichtssaal sitzen. Und er ist auch noch Polizist. Er weiß, wie man andere manipuliert. Er weiß, wie er den Zerknirschten spielen muss, auch wenn er keinen Funken Reue empfindet. Wir hätten schon Glück, wenn er eine Verwarnung bekommt, eine Strafe kriegt er bestimmt nicht. Das weißt du doch alles, Raj.«
Raj wusste es. In seinem Gesicht konnte man sehen, dass er es wusste. Aber in seinem Gesicht war auch das Versprechen zu lesen, dass er es nicht dabei belassen würde. » Dann kümmere ich mich eben selbst um ihn«, sagte Raj. » Ganz persönlich.«
Sie nickte. Sie machten sich Kaffee mit einem Schuss Brandy, dann setzte er sich aufs Sofa, hielt sie einfach eine Weile im Arm und versuchte, ihr durch die Berührung Stärke einzuflößen.
» Danke, Raj«, sagte sie nach einer Weile.
» Wofür denn, Süße?«
» Dafür, dass du keine Sekunde an mir gezweifelt hast. Dass du mir glaubst. Dass du nicht auf seine Lügen gehört hast. Ich liebe dich, Raj. Du hast nicht einmal einen Moment gezögert und darüber nachgedacht, ob er die Wahrheit sagen könnte, oder? Du hast mir einfach vertraut. Dafür könnte ich dich fressen vor Liebe, du wundervoller Mann.«
Sie weinte jetzt, lag schluchzend an seiner Schulter. Er biss sich, ohne etwas zu sagen, auf die Lippe und hoffte, dass sie Recht hatte. Es war ein Schock gewesen, und in diesen paar Minuten war alles so chaotisch gewesen, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, was genau er gefühlt oder gesagt hatte. Er war nur froh, dass sie nicht an seiner Loyalität zweifelte. » Ich liebe dich auch, Süße«, sagte er leise in ihr Haar. » Ich werde nie wieder zulassen, dass dir jemand wehtut …«
26
A ls er nach London zurückfuhr und Fahrzeuge wieder fähig waren, die magische Grenze zu überschreiten, hinter der alle Maschinen den Geist aufgegeben hatten, wurde Dave wieder von der Schönheit überwältigt, die von der strahlenden Kuppel des Erzengels ausging. Ihm kam der Gedanke, dass Schönheit und Geld miteinander im Konflikt lagen. Vielleicht wollte der Erzengel dadurch, dass die Zerstörung das Bankenviertel getroffen hatte, ein Zeichen setzen. Vielleicht wollte er damit sagen: Nutzt Geld als Tauschmittel, aber fangt nicht an, es um seiner selbst willen anzubeten.
Ab einer bestimmten Menge hatte Geld stets nicht nur Wohlstand, sondern auch Macht repräsentiert. Wer es hatte, wurde oft arrogant und fühlte sich denjenigen, die es nicht hatten, überlegen. Einigen reichte es nicht, genug zu haben: Sie mussten mehr als genug haben – viel mehr. Dann wurde Geld nicht zu einem Tauschmittel, sondern zu einem Kontrollinstrument.
Diese Überlegungen waren natürlich reine Binsenweisheiten, das war Dave klar, aber es konnte ja nicht schaden, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Geld letztendlich überhaupt nichts bedeutete, und dass geistige Werte, hier durch den Erzengel symbolisiert, wesentlich mächtiger waren.
Als Dave schließlich das Hotel erreichte, stieß er in der Lobby auf Rajeb Patel und Stan Gates, die einen heftigen Streit ausfochten.
Dave ging zu ihnen rüber.
» Worum geht es hier?«, fragte er.
Gates sah ihn an, als wollte er ihm sagen, er solle sich gefälligst raushalten, doch dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck, und er lächelte. » Nichts Wichtiges, Dave. Da wir Danny ja sozusagen verloren haben, dachte ich, dass ich Sie von nun an
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