ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
der stille, schweigsame Typ noch einmal von großer Bedeutung für ihn sein würde. Zusammen mit Tony befreite er ihn vom Schnee und nahm ihn mit in ihre Herberge. Erst, als der Mann vor dem Feuer langsam wieder warm wurde, erkannte Ira das wahre Ausmaß seiner Auszehrung. Er war kaum mehr, als ein mit Haut überspanntes Skelett. Dürr und kraftlos, so mochte man glauben, aber schnell hatte er feststellen müssen, wie viel Kraft und Willen unter der dünnen, blassen Haut verborgen war. Kräftige Muskelstränge, stark und hart wie Stahlseile und ein Willen, unnachgiebig und wild, wie eine Naturgewalt. Ira hatte binnen weniger Wochen beschlossen, Abel zu einem der Seinen zu machen. Diese unglaubliche Bestie, die in dem zurückhaltenden Mann schlief, wollte er unbedingt sein Eigen nennen. Eine derartige gewissenlose, grenzenlose Brutalität und Grausamkeit kannte er bisher nur aus den untersten Schichten der Hölle. Nie zuvor hatte er es bei einem irdischen Geschöpf angetroffen. Abel war besonders und gerade deshalb war Ira Stolz darauf ihn zu besitzen.
Damals war Abels pechschwarzes Haar zerzaust und lang gewesen, aber nachdem Ira ihn aufgenommen hatte, hatte er begonnen, sich den Kopf regelmäßig kahl zu rasieren. Trotz der Tatsache, dass Ira ihm das Leben gerettet hatte, war Abel eine schwierige Natur. Er hatte den Charakter einer tickenden Zeitbombe. Unberechenbar. Tief und unergründlich wie das Meer. Und genauso wechselhaft. Die Brüder gingen allesamt sehr vorsichtig mit ihm um. Keiner wollte ihn unnötig provozieren und wohl möglich seinen Zorn entfesseln. Und dennoch ... Ira hätte ihm sein Leben anvertraut, wenn es drauf ankäme.
Nach dem Essen ließ er sich von Oscar einen Teller mit den Resten fertigmachen und nahm ihn, wie jedes Mal, mit hinauf in sein Zimmer. Für den nach wie vor unwahrscheinlichen Fall, dass er doch noch diese Art von Hunger bekam.
Oben angekommen schloss er die Tür leise hinter sich und stellte den Teller auf den Couchtisch. Dann setzte er sich auf die Bettkante. In der Dunkelheit seiner eigenen vier Wände wanderten seine Gedanken schnell zurück zu ihr. Daran, wie sie gerochen und geschmeckt hatte. Wie sie sich angefühlt hatte unter ihm. Seine Lippen pressten sich automatisch zu einem schmalen, angestrengten Strich zusammen, wenn er daran zurückdachte. Alles in ihm, sein Hunger, seine Instinkte, seine Lust, schrie mit immer lauter werdender Stimme nach ihr. So laut, dass ihm die Ohren schmerzten und er glaubte, bald den Verstand zu verlieren.
Aber er hatte seinen Hunger bezwungen und ihn wieder eingesperrt. Lange würde er dies allerdings nicht mehr durchhalten können. Er schlief seither nicht und der Entzug all seiner Nahrungsquellen schwächte ihn zusehends. Immer öfter merkte er, dass ihm schwindelig wurde, wenn er aufstand. Sooft hatte er sich von ihr genährt und er war immer noch nicht wieder völlig er selbst. Zwar stach nicht mehr jeder seiner Knochen durch die Haut, aber so gut, wie früher, sah er immer noch nicht aus.
Er müsste bald wieder Nahrung aufnehmen. Sehr bald.
Seufzend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und starrte die Decke an. Fuhr mit den Augen die schlanken Linien des barocken Stucks nach. Und sah doch nur in jeder Windung, in jedem Bogen, eine andere herrliche Stelle des Körpers dieser Frau ... Ihren Hals ... Den Bogen ihrer Hüfte, der sich so deutlich in seine Erinnerung eingebrannt hatte ... Ihre schönen Brüste ...
Gottverdammt! , fluchte er innerlich und sprang wieder vom Bett auf. Er hatte wirklich viel zu lange in Dunkelheit vor sich hinvegetiert. Jetzt hatte er schon sinnliche Gedanken, wenn er an seine Beute dachte!
Er stapfte ins Bad und nahm erstmal eine Dusche. Die zahlreichen Annehmlichkeiten der Gegenwart waren immer noch neu für ihn, aber gerade fließendes, warmes Wasser hatte es ihm angetan. Tony hatte ihm alles erklären müssen, aber da sein Hirn seit über tausend Jahren ohne Arbeit war, freute es sich über jedes neue Detail, welches es lernen konnte.
Das heiße Wasser vertrieb seinen Unmut immerhin ein wenig. Als er wieder aus dem Bad kam, ein Handtuch um die Hüften geschlungen, das graue Haar nass, war der Teller mit den Resten vom Abendessen verschwunden. Auf dem Tisch der Sofalandschaft stand stattdessen eine reich gefüllte Obstschale, eine kleine Platte mit Käse und Oliven, duftendes Brot und eine Kanne mit grünem Tee. Oscar wusste wirklich, wie man Iras Laune wieder aufbesserte. Sogar nach der
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