Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
zuzulassen. »Was kannste sagen, wie weit kannste gehen«, hätten sich viele Menschen täglich gefragt in der DDR , beileibe nicht nur offen Oppositionelle. Unter diesem Schatten habe sie die Kindheit als Pfarrerstochter zugebracht, und diese Vorsicht, dieses Auf-der-Hut-Sein habe sie auch durch das ideologisch unverfängliche Physik-Studium begleitet.
Wohl auch deshalb sagen nicht wenige, gerade in ihrer Partei: Angela Merkel tut sich enorm schwer, Vertrauen zu gewähren. Sie sei geradezu unfähig zu vertrauen und darum unfähig, im Team zu spielen. »Man muss auch Vertrauen geben können – und nicht immer nur denken: Wer könnte mir gefährlich werden«, sagte ein CDU -Ministerpräsident vor nicht allzu langer Zeit über sie. »Angela Merkel könnte viel gelassener sein.« Aber das Merkel-Umfeld habe Angst und werde vor allem nach Loyalität ausgewählt. Wer dagegen das Zeug zum Rivalen habe, der sei von vornherein vom innersten Vertrauenszirkel ausgeschlossen. Wahr daran ist: Wer sein Misstrauen so wach halten wollte, wie es in der DDR angezeigt schien, der hatte wohl ein paar sehr klare, überprüfbare Bedingungen, an die er sein Vertrauen knüpfte. Und die eben nicht jeder erfüllt. Angela Merkel hat solche Bedingungen. Sie sind so simpel wie absolut. Sie heißen, im In- wie im Ausland und egal bei wem: Verschwiegenheit und Verlässlichkeit. Danach kommt lange nichts. Und es kommen nicht allzu viele, die der Prüfung standhalten.
Ein Beleg unter vielen, vielen dafür: Über Guido Westerwelle sagte Merkel jahrelang auf die Frage nach dessen größten Stärken immer dasselbe – seine Verschwiegenheit, seine Verlässlichkeit bei politischen Absprachen. Endgültig entstanden war das Verhältnis bei einem halb-privaten Abendessen im Berliner Haus der FDP -nahen Beraterin Margarita Mathiopoulos Ende 2003. Merkel und Westerwelle zogen sich für eine Weile in einen Nebenraum zurück, so wird erzählt. Als sie wieder herauskamen, duzten sie einander und hatten etwas Bestimmtes in Sachen der nahenden Bundespräsidentenwahl abgesprochen – das nie an die Öffentlichkeit kam. Auch als Westerwelle nach der Bundestagswahl 2005 sensationell standhaft blieb und in die Opposition statt in eine Ampel-Regierung unter Gerhard Schröder ging; auch als er 2009 die FDP zu einem wahrhaft historischen Ergebnis führte, blieb Merkel dabei: Guidos größte Stärken seien Verschwiegenheit und Verlässlichkeit beim Einhalten politischer Absprachen. Und als es wenig später steil bergab ging, es nicht zuletzt Westerwelles Fehler und Schwächen waren, welche die schwarz-gelbe Regierung insgesamt in Mitleidenschaft zogen – Merkel hielt ihm die Treue. Das änderte sich nicht, als Westerwelle den Parteivorsitz und damit auch den Rang des Vize-Kanzlers abgeben musste, im Gegenteil. Westerwelle behielt ihr Vertrauen, dessen Wort sein Gewicht. Warum? (Auch) weil sie niemanden kenne, der, noch einmal, so »verschwiegen und verlässlich« sei wie Guido Westerwelle, wenn es darauf ankomme.
Andersherum hat sie Sigmar Gabriel bis heute nicht vergessen, dass er eine »Vier-Augen«- SMS öffentlich machte. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler im Frühjahr 2010 völlig überraschend sein Amt hinwarf, bot der SPD -Chef der Kanzlerin die Absprache auf einen gemeinsamen Kandidaten an. Vermutlich war es ernst gemeint, eine Chance, doch Merkel lehnte ab. Sie hatte einen anderen Plan, warum auch nicht. Wenig später fand sich, entsprechend intoniert, der Wortlaut der SMS im Spiegel wieder; Merkel schäumte kurz vor Wut – und hatte in diesem Moment Gabriel gleichsam abgebucht. Wer ihr einen Brief schreibt und ihn zugleich öffentlich macht, der kriegt aus Prinzip keine Antwort.
Natürlich weiß sie, dass sie den SPD -Chef nicht ignorieren kann, schließlich steht für Merkel ein Parteichef stets an der obersten Stelle der Hierarchie. Absprachen, zum Beispiel im Bundesrat, wird sie mit ihm also weiter treffen müssen. SMS schickt sie ihm längst auch wieder, spätestens seit den Verhandlungen über den Nachfolger von Wulff. Aber Vertrauen in ihrem Sinne des Wortes hat sie bis auf weiteres nicht zu ihm, und das hängt nicht an der SPD -Parteifarbe Gabriels. Der damalige SPD -Finanzminister Peer Steinbrück lobte sie deswegen zu Zeiten der großen Koalition: »Es gilt bei ihr strikte Vertraulichkeit. Sie hat mir gesagt, sie instrumentalisiert mich nicht gegen meine Partei, ich habe dasselbe zugesichert. Und sie hat sich immer daran
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