Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
auseinanderzureißen. Deshalb war für sie (wie für alle anderen) eine Umschuldung des Pleite-Staates von 2010 bis Ende 2011 »das Eingeständnis, dass selbst der Euro-Raum nicht mehr sicher ist vor Staatspleiten« – und darum tabu. Später dann, im Frühjahr 2012, ging es unter dem Druck veränderter Einschätzungen doch: Die privaten Gläubiger, vor allem Banken und Versicherungen, erließen den Griechen mehr als 50 Prozent ihrer Schulden. Der Euro blieb ganz.
Davor jedoch lagen mehrere Momente, in denen der Druck von außen und ihre eigenen Ängste Angela Merkel schwer zusetzten. SPD -Fraktionschef Frank Walter Steinmeier erinnert sich, dass Ende Oktober 2011 Frankreich und Deutschland im Streit um den Euro-Rettungsschirm derart über Kreuz liegen, dass Merkel einen EU-Gipfel vertagen will. Das Sonder-Treffen ist auf Drängen von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy in diesem Moment aber schon offiziell angekündigt: Merkel soll in Brüssel zum Einlenken gezwungen werden. Da ruft sie einige Fraktionschefs der Parteien im Bundestag an, unter anderem Steinmeier. »Die bewegen sich keinen Millimeter«, habe Merkel ihm am Telefon gesagt, erzählte er hinterher Vertrauten. »Und ihre Stimme zitterte.« Am Ende wird der Gipfel in zwei geteilt, Merkel gewinnt genug Zeit, um mit Sarkozy einen der gewohnten deutsch-französischen Kompromisse auszuhandeln. Die Lage beruhigt sich. Der Moment der Angst, den Steinmeier am Telefon erlebt hatte, ist vorüber.
Angst ist ein schlechter Ratgeber, sagt ein englisches Sprichwort. Das würde Angela Merkel nicht unterschreiben. Ihre ehrliche Angst vor dem einen Fehltritt mit unabsehbaren Folgen ist einer ihrer wichtigsten Ratgeber. Sie lehne eine »Mutprobe« mit dem Euro ab, sagte sie einmal kurz und bündig. Sie hat diese Angst vor Unkontrollierbarkeit und möglichem Kontrollverlust zum Ausschlusskriterium für alle politischen Optionen gemacht, die ein solches Risiko bergen oder bloß bergen könnten. Und zwar nicht nur beim Euro, sondern bei jeder halbwegs wichtigen Frage, vor die sie sich gestellt sieht. Dass man ihr deshalb immer wieder »Führungsschwäche« vorwirft, nimmt sie in Kauf. Sie kann ganz gut leben mit ihrer Angst. Man könnte deshalb meinen, Angela Merkel hält es mit einem Satz des russischen Schriftstellers Maxim Gorki: »Angst ist für die Seele ebenso gesund wie ein Bad für den Körper.«
Gibt es überhaupt jemanden, dem Angela Merkel vertraut? Und wer ist alles unten durch bei ihr?
Am Duzen kann man es jedenfalls nicht ablesen, das mit dem Vertrauen. Mit ihren beiden engsten Beraterinnen, mit Büroleiterin Beate Baumann und Medien-Beraterin Eva Christiansen, siezt sich Angela Merkel bis heute. Beide haben sie durch alle Tiefen und auf alle Höhen begleitet, aber man sieht: Das gar zu gern als der innerste aller inneren Kreise beschriebene »girls camp« hat es nicht so mit dem Du. Baumann redet die Kanzlerin in kleinen Runden mit »Frau Merkel« an, sobald Außenstehende dabei sind mit »Frau Bundeskanzlerin«. Das suggeriert Distanz, aber ihr Einfluss auf die Kanzlerin wird ganz anders eingeschätzt. Beate Baumann heißt in manchen Berliner Kreisen auch »Rasputina«, die weibliche Variante des Einflüsterers am Zarenhof. Näher dran geht nicht.
Dagegen nennt Angela Merkel viele, vor allem hochrangige CDU -Parteifreunde, beim Vornamen und duzt sie. Darunter sind nachweislich auch etliche, denen sie nicht wirklich vertraut, weil sie ihre, Merkels, Grundregeln über Erwerb und Erhalt von Vertrauen nicht befolgen. Unter Geduzten sind sogar einige Partei»freunde«, denen sie definitiv misstraut oder besser gesagt: alles Mögliche zutraut. Dazu gehören oder gehörten langjährige CDU -Weggefährten wie Friedrich Merz, Christian Wulff, aber auch Edmund Stoiber und der amtierende CSU -Chef Horst Seehofer. Ebenso wie alle amtierenden CDU -Ministerpräsidenten werden sie in der Öffentlichkeit geduzt, weil es der Partei-Comment so verlangt. Das fällt Angela Merkel schwer, denn sie ist eine notorische »Schwer-Duzerin« und findet: Nähe kann nötig sein oder unausweichlich, aber niemals ist sie ein Wert an sich. Wenn sie wählen müsste zwischen Profis oder Kumpeln, würde sie nicht lange zögern.
Merkel-Interpreten mit einer Neigung zum Psychologisieren erkennen darin die Prägung durch ihr Außenseiter-Dasein in der DDR . Tatsächlich spricht die Kanzlerin regelmäßig von der damals stets wachen Sorge, einen Augenblick lang zu viel offene Nähe
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