Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
verschwiegenen Vertrauten sind Weggefährten fast von Anfang an. Beate Baumann wurde ihr als Büroleiterin für ihren ersten Ministerposten empfohlen. Den heutigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière kennt Merkel aus der Wendezeit, als sie dank seiner Geistesgegenwart stellvertretende Regierungssprecherin bei dessen Vetter Lothar de Maizière wurde. In ihr erstes Ministerium unter Helmut Kohl holte Merkel 1990/91 als Staatssekretäre Willy Hausmann und Peter Hintze. Sie haben bis heute besonderen, direkten Zugang zur Kanzlerin. Ronald Pofalla (Kanzleramtsminister), Peter Altmaier (Umwelt) und Hermann Gröhe ( CDU -Generalsekretär) sind seit mindestens einem Jahrzehnt in verschiedenen Funktionen an ihrer Seite.
Veränderungen in diesem Nah-Feld sind der Kanzlerin ein Gräuel. Vertrauen neu zu fassen, findet sie anstrengend. Personalentscheidungen schiebt sie deshalb am liebsten auf, bis es gar nicht mehr anders geht. Als es um die Nachfolge von Regierungssprecher Wilhelm ging, sprach der sie mehrfach darauf an, dass nun langsam Suche und Auswahl beginnen müsse. Aber Merkel schüttelte über Monate nur immer wieder den Kopf. Sie wollte einfach nicht.
Merkel verdrängt wichtige Personalentscheidungen oder -wechsel? Tatsächlich, diesen Eindruck musste auch bekommen, wer sie auf dem Rückflug vom G-20-Gipfel in Pittsburgh in der Nacht vom 25. auf den 26. September 2009 beobachtete, unmittelbar vor der Bundestagswahl. Die Kanzlerin und ihr SPD -Finanzminister Peer Steinbrück sind da noch voll der Eindrücke aus den Verhandlungsrunden, während die mitreisenden Journalisten die bevorstehende Wahl fixiert haben. Weil die SPD hoffnungslos zurückliegt, wird Steinbrück beäugt wie einer, der den Kopf schon unter dem Arm trägt. Aber die beiden, umdrängt von Journalisten, reden und diskutieren in der Kabine über die G-20-Beschlüsse – als gäbe es kein Morgen. Als gäbe es keine Wahl. Bizarr.
Und wer ist nun unten durch bei Angela Merkel? Eine Antwort, ganz generell: Nicht jene, die ihr offen widersprechen. Aber all jene, die sie unterschätzen, die sie über den Tisch ziehen oder für dumm verkaufen wollen.
Ein Beispiel aus der ersten Kategorie: die CDU -Ministerpräsidentin des Saarlands Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie ließ am 6. Januar 2012 ihre Koalition mit der FDP platzen, obwohl Merkel sie inständig gebeten hatte, nicht ausgerechnet die so wichtige Dreikönig-Rede des angeschlagenen FDP -Chefs Rösler damit zu überschatten. Die Kanzlerin drängte regelrecht am Telefon, bitte, bitte nicht ausgerechnet am 6. Januar. Doch Kramp-Karrenbauer blieb hart, gab der FDP den Laufpass, drehte im folgenden Wahlkampf die Stimmung zu ihren Gunsten und führt nun eine große Koalition an. Seitdem steht sie bei Merkel hoch in Gunst und Vertrauen: eigenen Kopf gehabt, Erfolg gehabt – das gefällt ihr, wobei ein eigener Kopf ohne Erfolg für Merkel nichts wert gewesen wäre.
Zur anderen Kategorie zählt paradoxerweise – eben jener Philipp Rösler. Zu Anfang der schwarz-gelben Koalition hielt Angela Merkel große Stücke auf ihn, seine Unbefangenheit und sein politisches Talent. Sie zollte ihm großen Resepkt, als er in einer extrem komplizierten Lage den Vorsitz seiner Partei zu übernehmen hatte. Doch als Rösler die Kanzlerin bei der Kür von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten matt setzte, war er in Merkels Wahrnehmung in einem entscheidenden Moment unter vier Augen nicht ehrlich, auch auf Nachfrage nicht. In den Tagen danach machte der FDP -Chef das Maß voll, indem er sich öffentlich in Siegerpose warf und in einer TV-Talkshow minutenlang Merkel mit einem Frosch verglich, der in einem Topf voll Wasser auf dem Herd nicht merkt, dass er langsam zu Tode gegart wird. Die Kanzlerin schüttelte insgeheim den Kopf, ihr Urteil ist gefällt: unten durch. Wegen Unaufrichtigkeit, als es darauf ankam. Und wegen Unfähigkeit, mit einem heiklen Erfolg umzugehen. Daran scheint auch Röslers machtpolitisches Meisterstück nichts Entscheidendes geändert zu haben – sein Ausmanövrieren von FDP -Fraktionschef Rainer Brüderle als Rivale um das Amt des Parteichefs. Merkels ohnmächtige Wut an dem Nachmittag der Gauck-Kür war damals zwar ziemlich rasch verraucht. Aber eben nicht vergessen, über Wochen herrschte weitgehend Funkstille zwischen den beiden. In ihren eigenen Worten im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg 2003: »Ich kann über längere Zeit meine Wut verbergen, bis alle denken, da passiert nichts mehr. Und dann
Weitere Kostenlose Bücher